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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Land sehen und Anker für sie so nützlich sein werden wie Lenzpumpen für einen Ochsenkarren. Sie werden auf nördlichem Kurs bis nach Japan segeln, bis sie einen bestimmten Breitengrad erreichen – den nur die Spanier kennen -, wo Passatwinde genau nach Osten wehen und es keine kleinen Inseln oder Riffe gibt, die sie mitten im Ozean überraschen könnten. Dann werden sie vor dem Wind segeln und um Regen beten, damit sie nicht vor Durst sterben und als Geisterschiff voller ausgetrockneter Skelette an die Küste von Kalifornien gespült werden. Manchmal werden diese Passatwinde abflauen, und sie werden einen Tag, dann zwei Tage, dann eine Woche lang ziellos umhertreiben, bis von Süden her ein Taifun aufkommt oder arktische Stürme aus den Polarregionen einfallen und sie mit einer Kälte überziehen, neben der das, was uns in Japan so zittern und frieren ließ, so wohltuend erscheint wie der Atem eines Mädchens an unserer Wange. Die Lebensmittel werden ihnen ausgehen, und wohlhabende Epikuräer werden, nachdem sie schon ihre Schuhe und die Ledereinbände ihrer Bibeln verspeist haben, in ihren Kajüten knien und Gott verzweifelt anflehen, er möge ihnen nur eine jener schimmeligen Brotrinden schicken, die sie früher auf ihrer Reise weggeworfen haben. Zahnfleisch wird sich von Zähnen lösen, die ausfallen werden, bis man sie wie Hagelkörner vom Deck kehren muss.«
    Diesen Vergleich hatte van Hoek anscheinend improvisiert, denn gerade hatte sich aus einer tief wirbelnden Wolke ein Schwall erbsengroßer Hagelkörner auf das Deck ergossen und es gesprenkelt. Alle Mann richteten ihren Blick auf den Hagel und stellten sich gehorsam Zähne vor. Eine kräftige Windbö fuhr über das Wasser, entriss tausenden von Wellen ihre weißen Schaumkronen und schleuderte die Gischt seitwärts durch die Luft; sie traf die Männer am Kopf, und im selben Moment schlug das Segel wie ein Musketenschuss, und die ganze Schiffskonstruktion hob und senkte sich ächzend von der
Wucht dieser Bö. Ein Tau riss und fing an, auf dem Deck herumzuzappeln, als wäre es lebendig, während die Spannung aus ihm wich und seine Schläge sich lösten. Doch dann legte sich dieser plötzliche Windstoß, und die Minerva glitt mit einem stürmischen Nordwind durch die sich verfinsternde Bucht. Die Sonne war kometenhaft ins Südchinesische Meer gestürzt, und ihr Licht wurde nun von den Blitzen über Manila übertroffen, die zu einem andauernden blauen Strahlen verschmolzen, bei dem man fast lesen konnte.
    »Eines Tages, lange nachdem sie alle Hoffnung aufgegeben haben, wird einer dieser armen Teufel – einer der wenigen, die noch aufrecht stehen können – an Deck sein und, während er Leichen über die Reling wirft, unten im Wasser etwas dahintreiben sehen: einen Fetzen Seetang, nicht größer als mein Finger. Nichts, was euch oder mir besonders auffallen würde – aber für sie etwas so Wunderbares wie die Erscheinung eines Engels! An jenem Tag wird auf dem Schiff viel Beten und Singen sein. Am Ende wird jedoch grausame Enttäuschung stehen, denn weder an diesem Tag noch am nächsten oder übernächsten wird noch einmal Seetang gesichtet werden. Sie segeln eine weitere Woche – nichts! Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als vor dem Wind zu segeln und mit aller Kraft der Versuchung zu widerstehen, die Körper der Toten zu verzehren. An diesem Punkt werden die frommsten Dominikanerbrüder an Bord das Beten vergessen und ihre eigenen Mütter verfluchen, die sie zur Welt gebracht haben. Und dann noch eine Woche genau dasselbe! Aber schließlich wird der Seetang wieder auftauchen – und nicht nur ein einziges Stück, sondern zwei, dann drei. Das wird bedeuten, dass sie sich vor der Küste Kaliforniens befinden, einer Insel, die rundherum von solchem Tang umgeben ist.«
    Etwa in diesem Moment bemerkte Jack, dass das blaugrüne Licht viel heller, stetiger und ruhiger geworden war, so als wäre eine schaurige neptunische Sonne aus dem Wasser aufgestiegen, die zwar Licht, aber keine Wärme aussandte. Eine mächtige instinktive Abneigung bekämpfend, zwang er sich, in die Spieren und Wanten des Großmasts hinaufzuschauen. Jedes bisschen davon – jeder Holzsplitter und jede Seilfaser – erstrahlte in einem knisternden Glanz, als wäre es in Phosphor getaucht worden. Dieses Bild war es wert, länger betrachtet zu werden, aber Jack zwang sich, den Blick stattdessen auf die Menge unten auf dem Achterdeck zu richten. Hier sah er eine Ansammlung von

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