Confusion
deine Botschaft«, sagte van Hoek und zeigte auf die Stadt, »und dein Fußvolk wird heute Abend hingehen und die nächsten zwei Monate in dieser Botschaft leben. Auch du hast darin gelebt, Jack – hat die Botschaft deine Ohren nicht erreicht?«
»Ich habe vielleicht ein schwaches Flüstern gehört – könntet Ihr sie etwas genauer ausführen?«
»Von allen Unternehmungen, denen ein Mann sich verschreiben kann«, begann van Hoek widerwillig mit erhobener Stimme, »ist der Überseehandel die einträglichste. Er ist das, wonach jeder Jude, Puritaner, Holländer, Hugenotte, Armenier und Banyan strebt – er ist das,
was die Kriegsflotten und Paläste Europas, den Hof des Großmoguls in Shahjahanabad und noch viele andere Wunderwerke geschaffen hat. In der Welt des Handels ist jedoch allgemein bekannt, dass kein Bereich – weder der Sklavenhandel der Karibik noch der Gewürzhandel Indiens – die Manila-Acapulco-Route an reinem Profit übertrifft. Die reichsten Banyans in Surat und Bankiers in Genua legen nachts ihre parfümierten Häupter auf seidene Kissen und träumen davon, ein paar Ballen Fracht auf der Manila-Galeone über den Pazifik zu schicken. Selbst wenn man all die Gefahren und die horrenden Abgaben mitberechnet, die an den Vizekönig zu zahlen sind, fallen die Gewinne nie unter vierhundert Prozent. Jene Stadt dort gründet auf solchen Träumen, Jack. Und da werden wir jetzt alle hingehen.«
An dieser Stelle hielt van Hoek endlich den Mund, und in der Stille, die darauf folgte, bemerkte er, dass sein pathetischer Vortrag unter ihm auf dem Oberdeck pflichtgemäß in verschiedene heidnische Sprachen übersetzt wurde. Die Übersetzer nahmen sich dabei mehr oder weniger Zeit, je nachdem wie wortreich ihre jeweilige Sprache war, wie viel sie ausließen oder wie frei sie mit Ausschmückungen umgingen. Als aber der letzte von ihnen schließlich seine Rede beschloss, setzte ein leises Prasseln ein. Jack zuckte zusammen, denn er hielt es für einen weiteren Hagelschauer. Doch dann wuchs es zu einem kräftigen Stampfen und Tosen an, und er erkannte es als Applaus. Dappa steckte sich beide Zeigefinger in den Mund und gab einen durchdringenden Ton von sich. Van Hoek schien zunächst erschrocken, doch dann dämmerte es ihm, und er wandte sich zu Jack um, zog seinen Hut und verneigte sich.
BUCH FÜNF
Das Komplott
Berlin
JANUAR 1701
Im Grunde überzeugt uns all unsere Erfahrung nur von zweierlei, nämlich dass es einen Zusammenhang zwischen unseren Erscheinungen gibt, wodurch wir die Mittel an die Hand bekommen, künftige Erscheinungen zutreffend vorauszusagen, und dass dieser Zusammenhang
LEIBNIZ
G.W. Leibniz, Präsident
Sozietät der Wissenschaften
Berlin, Preußen
An Mr. Daniel Waterhouse, Kanzler
Massachusetts Bay Institut der Technologischen Wissenschaften
Newtowne, Massachusetts Bay Colony
Lieber Daniel,
das Eintreffen Eures Briefes auf der Schwelle meiner Akademie verlieh einem ansonsten frostigen Berliner Tag unerwartete Heiterkeit, die zu Vergnügen geriet, als ich las, dass Euer Institut mittlerweile ein Dach über dem Kopf hat, und sich zu reiner Freude steigerte, als Ihr Eurem Wunsch Ausdruck verlieht, weiter mit mir zusammenzuarbeiten. Ich muss bekennen, dass ich, nachdem zwei Jahre ohne Nachricht von Euch verstrichen waren, schon glaubte, Ihr wärt von Indianern umgebracht oder wegen Hexerei aufgehängt worden!
Seit wir zuletzt Briefe wechselten, ist vieles geschehen. Ihr habt wahrscheinlich bemerkt, dass ich eine neue Anschrift (Berlin) habe, die zudem noch in einem neuen Königreich (Preußen)
liegt. Der Herrscher, den Ihr unter dem Namen Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg kanntet, heißt nun König Friedrich I. von Preußen. Er ist derselbe Mensch geblieben, der noch immer glücklich mit derselben Sophie Charlotte verheiratet ist und in demselben Palast lebt und regiert, den er in Berlin für sie hat bauen lassen, aber er hat (durch Machenschaften, die den Rahmen dieses Briefes sprengen würden) den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in Wien (noch immer Leopold I., falls Ihr Euch nicht auf dem Laufenden gehalten habt) bewogen, ihn den Titel König tragen zu lassen. Die Hohenzollern, seine Familie, sind schon seit so vielen Generationen Herzöge von Preußen wie Kurfürsten von Brandenburg, dass es sinnvoll war, die beiden Länder miteinander zu verschmelzen. Das Ergebnis heißt Preußen, wird aber noch immer von Brandenburg aus regiert.
Sophie ist so tatkräftig und
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