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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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himmelwärts gerichteten Gesichtern mit glänzenden Zähnen und Augen, eine Schar staunender Gestalten.

    »Zuerst war’s Jewgeni – und jetzt gibt auch noch Enoch Root seinen Senf dazu«, scherzte er, aber falls überhaupt jemand auch nur ein Kichern von sich gab, ging es im Klatschen der Wellen gegen den Rumpf unter. Van Hoek drehte sich um und warf Jack einen flüchtigen Blick zu, dann begab er sich wieder in Positur und fuhr mit seiner schrecklichen Darstellung fort. Das unheimliche Elmsfeuer war am Mast herabgekrochen und umspielte den Rand seines Dreispitzes; selbst die Locken seiner Ziegenhaarperücke waren von Funken befallen, die schwirrten und knisterten, als wären sie lebendig. Die einzelnen Haare dieser seit langem toten Ziege wurden nun wie durch Voodoo-Gesänge wieder zum Leben erweckt und begannen voneinander wegzustreben, das heißt, sich aufzurichten und nach außen zu stellen. Die bebende Spitze jedes Haares wurde von einem gefährlichen Strahlenkranz verteidigt.
    Van Hoek beachtete das nicht weiter; wenn es ihm überhaupt bewusst war, betrachtete er es offenkundig als Möglichkeit, seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ihr Martyrium ist jedoch noch nicht beendet, es nimmt nur eine andere Form an; jetzt müssen sie Tantalusqualen erleiden, denn das Land, wo Milch und Honig fließen, ist das Reich von Wilden, und seine Ufer bieten keine Nahrungsmittel, sondern nur einen plötzlichen, gewaltsamen Tod. Nun müssen sie viele, viele Tage lang an der Küste entlangsegeln, wobei sie sich immer weiter südostwärts bewegen und hin und wieder verzweifelte Abstecher an Land unternehmen, um Trinkwasser oder Wild aufzutreiben. Eines Tages erspähen sie endlich einen spanischen Wachturm, der von einer felsigen Bergspitze über dem Meer dräuend auf sie herabblickt. Es werden Signale ausgetauscht, die den Menschen auf dem Schiff sagen, dass Reiter ausgesandt wurden, die über den Königsweg nach La Ciudad de México galoppieren, um die Kunde zu verbreiten, dass die diesjährige Manila-Galeone nicht auf Grund gelaufen oder in einem Sturm gesunken ist, sondern, mirabile dictu , die Seereise überstanden hat. Noch ein paar Tage, und eine spanische Stadt wird sichtbar. Boote kommen heraus und bringen das erste Obst und Gemüse, das diese Reisenden nach einem halben Jahr gegessen haben werden. Allerdings bringen sie auch die Botschaft, dass sowohl französische als auch englische Piraten Kap Hoorn umfahren haben und die Küste unsicher machen – viele gefährliche Seemeilen trennen sie noch von ihrem Ziel Acapulco...«
    Das Elmsfeuer erstarb, und die übernatürliche Stille, in der sie die
letzten paar Minuten dahingesegelt waren, wurde jetzt von etwas abgelöst, was schon eher einem Unwetter gleichkam. Ein Brecher schob sich unter den Rumpf, und die Gesichter auf dem Oberdeck wogten wie ein Kornfeld, während alle an Bord versuchten, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen.
    »Wie gesagt, ein paar Wochen nach der Galeone werden wir dann in See stechen, und wir brauchen Seeleute...«, hob van Hoek an.
    »Äh, mit Verlaub, Käpt’n«, sagte Jack, »Eure Beschreibung von den Schrecken dieser Reise war außerordentlich packend, und ich bin sicher, dass sich jedermann vor Angst in die Hose gemacht hat..., aber Ihr habt vergessen, irgendein Gegengewicht einzubauen. Nachdem Ihr bei ihnen Angst erzeugt habt, müsst Ihr nun die Gier dieser Seeleute wecken, oder sie werden auf der Stelle über Bord springen und an Land schwimmen und nie wieder anheuern.«
    Van Hoeks Gesicht nahm einen verächtlichen Ausdruck an, den Jack nur mithilfe eines praktischen Dreifachblitzes erkennen konnte. »Ihr unterschätzt ihre Intelligenz bei weitem, Sir. Es ist gar nicht nötig, sich hinzustellen und alles deutlich auszusprechen. Eine wohlformulierte Darstellung sagt mit dem, was sie auslässt, genauso viel wie mit dem, was sie erwähnt.«
    »Dann hättet Ihr vielleicht mehr auslassen sollen. Ich habe in Sachen Theater einige Erfahrung, Sir«, sagte Jack, »und die ist hier insofern anwendbar, als dieses Achterdeck nichts so sehr ähnelt wie einer Bühne, und jene da mir – ungeachtet Eurer ausgesprochen großzügigen Einschätzung ihrer Intelligenz – wie das Fußvolk auf den Stehplätzen vorkommen, das knietief in Haselnussschalen und Ginflaschen versinkt und darauf wartet, ja, darum bittet , eine direkte und unzweideutige Botschaft um die Ohren geschlagen zu bekommen.«
    Blitz und Donner entluden sich gleichzeitig über Manila.
    »Da ist

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