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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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mal nach, Monsieur Arlanc: Was könnte de Ath am Überleben der armen Lady beunruhigend finden? Sie ist doch sowieso nicht ganz bei Verstand.«
    »Leute, die nicht ganz bei Verstand sind, vergessen oft jede Diskretion und sagen Dinge, die sie normalerweise für sich behalten würden.«
    »Also gut, vielleicht hatten er und die Lady eine skandalöse affaire de coeur – das würde erklären, warum er seitdem an ihrem Bett sitzt.«
    Jack saß in einem Speigatt, seine Pobacken baumelten über dem Pazifik, und Monsieur Arlanc stand neben ihm; zusammen schauten sie einige Minuten an der Längsseite des Schiffes hinunter. Die verschiedenen Abteilungen und Unterabteilungen der diensthabenden Wachmannschaft waren auf die Masten und Untersegel verteilt und durchliefen eine Routine, die jeder Seemann im Schlaf kannte, indem sie die Segel für ein erneutes Unwetter trimmten, das von Nordwesten her auf sie zukam. Ihre Gliedmaßen waren von Beri-Beri geschwollen, und viele von ihnen bewegten sich in krampfartigen Zuckungen, da ihre Füße und Hände nur widerspenstig auf die Befehle ihres Verstandes reagierten. Auf dem Oberdeck standen mittschiffs ein Dutzend Malabaren um eine in ein Tuch eingenähte Leiche und intonierten eine Art heidnischen Klagegesang, der der Meerbestattung vorausging. Ein Stück Schnur war um die Knöchel geschlungen und an einem leeren Trinkkrug befestigt worden, der mit Tonscherben und Ballastsand gefüllt worden war, sodass die Leiche rasch auf den Meeresgrund gezogen wurde, bevor die Haie, die im Kielwasser des Schiffes schwammen, sich an ihr gütlich tun konnten.
    »Wir haben zwei Münder von der Galeone dazubekommen und uns Sorgen gemacht, dass wir deswegen verhungern könnten«, sinnierte Jack. »Seitdem sind drei von uns gestorben.«
    »Es muss doch irgendeinen Grund geben, dass Ihr hier sitzt und mir Dinge erzählt, die ich schon weiß«, murmelte Monsieur Arlanc nachdenklich durch geschwollenes Zahnfleisch hindurch, »aber ich komme einfach nicht dahinter.«
    »Wenn kräftige Matrosen tot umfallen, welche Chancen hat dann Elizabeth de Obregon?«

    Monsieur Arlanc spuckte Blut über die Reling. »Größere Chancen als ich. Sie hat eine Reise überstanden, die jeden Mann auf diesem Schiff umbringen würde.«
    »Wollt Ihr mir etwa erzählen, dass es auf der ganzen Welt eine schlimmere Reise gibt als diese hier?«
    »Sie ist die einzige Überlebende des Geschwaders, das vor Jahren von Acapulco ausgeschickt wurde, um die Salomoninseln zu finden.«
    Jetzt war Jack in gewisser Weise froh, dass er auf der Toilette saß, denn es war eine Haltung, die sich gut zu tiefschürfender, stiller Betrachtung eignete. »Potzblitz!«, rief er schließlich. »Enoch hat mir von dieser Expedition erzählt, und dass nur eine Frau sie überlebt hat, aber ich hatte den Zusammenhang nicht hergestellt.«
    »Sie hat Wunder und Schrecken gesehen, von denen nur die Spanier wissen.«
    »Wie dem auch sei, im Moment ist sie sehr krank«, sagte Jack, »und deshalb ist es nicht weiter erstaunlich, dass Edmund de Ath am Bett der Lady sitzt – das ist das Mindeste, was wir von einem Priester erwarten dürfen.«
    »Von einem Schuft aber nicht.«
    Jack seufzte. Die Leiche ging über Bord. Mehrere philippinische Freiwächter – Handwerker, die nicht einer bestimmten Wachmannschaft zugeteilt waren – stritten sich über Enten. An diesem Morgen war in der Ferne ein Entenschwarm gesichtet worden, und einige waren der Meinung, dass Enten sich nie mehr als ein paar Meilen vom Land entfernten.
    »Es liegt in der Natur der Sache, dass Männer, die an Bord eines Schiffes zusammengepfercht sind, irgendwann anfangen zu streiten«, sagte Jack schließlich.
    Monsieur Arlanc grinste, was ein unsagbar abstoßender Anblick war: Sein Zahnfleisch hatte sich so weit vom Kiefer abgelöst, dass man den schwarz werdenden Knochen sehen konnte. »Es ist eine Art poetische Gerechtigkeit. Ihr kehrt meinen Glauben gegen mich, indem Ihr behauptet, ich sei dazu prädestiniert, Edmund de Ath zu misstrauen.«
     
    Eine Woche später starb Monsieur Arlanc. Sie behielten seinen Körper an Bord, so lange sie konnten, denn fast im Augenblick seines Todes war ein abgerissenes Stück Seetang im Wasser entdeckt worden, und sie hofften, bald Land sichten und ihn in der Erde Kaliforniens
begraben zu können. Sein Körper war jedoch schon zu seinen Lebzeiten in Verwesung übergegangen. Dass er gestorben war, verbesserte die Lage kaum, und zwang sie, eine weitere

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