Confusion
Angelegenheiten behelligen zu müssen. Für gewöhnliche Menschen ist derlei wichtig! Für uns ist es nichts.«
»Dann wollen wir zusehen, dass nichts zwischen uns tritt«, sagte Eliza.
Wie von Bonaventure Rossignol vorausgesehen, hielt sich d’Avaux nicht am Meer auf, sondern war am nächsten Tag schon vor dem ersten Hahnenschrei auf dem Weg nach Paris.
Rossignol blieb danach noch zwei Nächte, dann stand er eines Morgens auf und ritt mit ebenso wenig Aufhebens aus der Stadt hinaus, wie er seinerzeit in sie hineingeritten war. Am späten Vormittag musste er der Kutsche des Marquis d’Ozoir begegnet sein, denn Eliza – die im ersten Stock war und sich zur Kirche ankleidete – hörte, kurz bevor es Mittag schlug, wie das Stalltor aufgerissen wurde, und trat ans Fenster, wo sie sah, wie vier Pferde eine Kutsche auf den Hof zogen.
Das auf den Schlag der Kutsche gemalte Wappen entsprach dem auf dem Tor. Das vermutete sie jedenfalls. Es zu verifizieren hätte ein Vergrößerungsglas, einen Wappenherold und mehr Zeit und Geduld erfordert, als Eliza im Augenblick hatte. Das Wappen von Charlotte-Adélaide war eine Vierung aus den Wappen der de Gex und der de Crépy, und diese enthielten ihrerseits als Beiwerk das Wappen des Hauses de Lavardac d’Arcachon – das seinerseits eine Vierung aus einem Etwas mit vielen Lilien nebst einem Arrangement schwarzer Köpfe mit Eisenkrägen war, zum Zeichen der Bastardschaft von rechts oben nach links unten von einem Schrägbalken gequert. Wie auch immer, das Ganze bedeutete jedenfalls, dass der Herr des Hauses zurück war. Gerade als er seiner Kutsche entstieg, schlugen die Glocken des alten verwaisten Turms ein Stück die Straße entlang die Mittagsstunde. Eliza war bereits spät dran, und das war noch unangenehmer als sonst, weil die Zeremonien an diesem Tag erst vonstatten gehen konnten, wenn sie und das Kind eingetroffen waren. Sie schickte jemanden nach unten, um dem Marquis die Sachlage zu erklären und sie zu entschuldigen, und eilte mit ihrem Kind und ihrer Entourage zur Tür hinaus, als Claude Eauze gerade durch eine andere eintrat. Er tat augenblicklich, was von einem Kavalier erwartet wurde, das heißt, er ließ die Kutsche wenden und schickte sie ihr ratternd die Straße entlang hinterher. Doch in Dünkirchen lag alles so dicht beieinander, dass Eliza schon vor der Kirchentür stand, als die Kutsche sie einholte. Sie wäre ihr wohl vollends entwischt, wenn sie sofort hineingegangen wäre. Aber sie war stehen geblieben, um die Église St. Eloi zu betrachten und nachzudenken.
Ihr gefiel diese Kirche. Sie war spätgotisch und hätte für alt gelten können, war in Wirklichkeit aber ein neueres Bauwerk. Vor einigen Jahrzehnten hatten die Spanier die alte im Zuge eines Disputs um den Besitz Flanderns dem Erdboden gleichgemacht. Nur der Glockenturm war davon geblieben, und nach seinem Aussehen zu schließen, hatten die Spanier dem Erscheinungsbild der Stadt sehr aufgeholfen. Die neue Kirche hatte eine Fensterrosette mit einem zierlichen Maßwerk aus Stein, wie die Rosette im Korpus einer Laute, und Eliza blieb immer gern stehen und bewunderte sie, wenn sie vorbeikam. Auch jetzt, ihr Baby an den Busen gedrückt, verharrte sie einen Augenblick, um sie ein weiteres Mal zu bewundern. In diesem Augenblick trat eine wirklichkeitsferne Phantasie vor ihr inneres Auge, eine Phantasie, in der Rossignol an ihrer Seite stand und sie beide in die Kirche gingen,
um sich trauen zu lassen, und dann zum Wasser hinunterspazierten, ein Schiff bestiegen und nach Amsterdam oder London fuhren, um ihr Baby im Exil großzuziehen.
Dieser Traum wurde unterbrochen vom misstönenden, wilden Heranpreschen der Kutsche des Marquis d’Ozoir, das in dieser Szene ungefähr so passend und so willkommen war wie Musketenfeuer bei einer Verführung. Um nicht durch den Austausch von Artigkeiten mit dem Marquis draußen festgehalten zu werden, eilte sie rasch zur Tür hinein.
Das Gewölbe der Kirche wurde von mehreren Säulen getragen, die im Halbkreis um den Altar angeordnet waren, was Eliza an die Stangen eines riesigen Vogelkäfigs erinnerte: eines Vogelkäfigs, in den sie nicht nur von der scheppernden und ratternden Kutsche, sondern auch von diversen anderen plötzlichen und angsteinflößenden Attacken gescheucht worden war. Sie konnte nicht weiterfliegen. Sie war gefangen. Am besten, sie flatterte zu ihrer neuen Bank, putzte sich das Gefieder und schaute sich um. Der Marquis kam allein
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