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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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dann nicht einfach sieben Runden marschierten und es dabei bewenden ließen. Natürlich wurde er nicht ernst genommen, bis sie dort oben einen neuen Priester bekamen, der in einem Bein Gicht hatte und nicht so gerne zu Fuß ging. Es wurde ein Brief an den Vatikan geschickt. Zwanzig Jahre später kam die Antwort, dass die Arithmetik des Jesuiten geprüft und für vernünftig befunden worden sei. Zu dieser Zeit war der gichtkranke Geistliche bereits an einem Fieber gestorben. Sein Nachfolger konnte sich nicht mit dem Papst über Rechenaufgaben streiten, und so wurde die neue Tradition schließlich durchgesetzt.«
    Sichtbar erschöpft, verfiel Moseh jetzt in Schweigen, ebenso wie die Fonsecas, die von dem Redeschwall regelrecht benommen waren. Erst nach mehreren Umrundungen des Gefängnishofes ergriff wieder jemand das Wort.
    »Dieser verfluchte Staub!«, sagte Diego de Fonseca und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. Die Mönche, die vorher gekehrt hatten, schüttelten gerade ihre Zweige aus und entließen Wolken von Popocatepetl-Asche in die Luft.
    »Ich habe heute ungewohnte Schreie gehört«, bemerkte Jack. »Klangen, als würde jemand dem Strappado unterzogen, aber ich habe seine Stimme nicht erkannt.«
    »Es ist ein belgischer Geistlicher, vermutlich mit ketzerischen Neigungen – sie haben ihn von Acapulco hergebracht«, sagte der Direktor. »Ich glaube, er ist ein unentbehrlicher Zeuge in Eurem Fall.«
     
    Pater Edmund de Ath saß in seiner Zelle und schaute mit einer Art dumpfer Neugier auf seine eigenen Arme, die wie Lammhachsen auf
der Fleischertheke vor ihm auf dem Tisch lagen. Sie hingen noch an seinen Schultern, waren aber angeschwollen und bläulich verfärbt, außer um die Handgelenke, wo Seile sich fast bis auf den Knochen eingefräst hatten. Der einzige Körperteil an ihm, der sich bewegte, waren seine Augäpfel, die sich zur Tür drehten, als Jack und Moseh eintraten.
    »Wisst Ihr, in Spanien wurde vor fünfzig oder hundert Jahren einmal ein Mönch wegen irgendeines leichten Vergehens ins Gefängnis geworfen«, sagte de Ath. Er sprach leise. Jack und Moseh wussten, warum: Beim Strappado wurden sämtliche Muskeln um Brustkorb und Wirbelsäule zerrissen, was das Opfer dazu anhielt, die nächsten paar Wochen nur flach zu atmen. Jack und Moseh stellten sich zu beiden Seiten von ihm hin und beugten sich zu ihm hinunter, damit de Ath sich flüsternd verständlich machen konnte. »Nach ein paar Tagen im Schmutz dieses Gefängnisses rief er den Aufseher herbei und gab gewisse ketzerische Schwüre von sich. Natürlich denunzierte der Gefängnisaufseher ihn unverzüglich bei der Inquisition. Bevor die Sonne das nächste Mal unterging, war dieser Mönch in das Gefängnis der Inquisition verlegt worden, wo er seine eigene saubere und gut belüftete Zelle mit einem Stuhl und – ahh – einem Tisch hatte.«
    »Es ist gut, einen Tisch zu haben«, bestätigte Jack, »wenn einem die Arme aus den Gelenkpfannen gezogen wurden und nichts anderes mehr ihr Gewicht trägt als ein paar Knorpelstränge.«
    »Ihr seid in Wirklichkeit kein Häretiker, Pater, oder?«, fragte Moseh.
    »Natürlich nicht.«
    »Folglich glaubt Ihr daran, dass man die andere Wange hinhalten soll, dass die Erde den Sanftmütigen gehören wird, et cetera ?«
    » ¿Como no? , wie die Spanier sagen.«
    »Gut, wir werden Euch beim Wort nehmen«, sagte Jack, hob einen Fuß und stellte ihn mitten auf de Aths Brust. Dann ergriff er die eine Hand des Geistlichen und Moseh die andere. Ein heftiger Stoß ließ das Opfer auf seinem Stuhl rückwärts kippen. Kurz bevor sein Kopf auf dem Steinfußboden aufgeschlagen wäre, rissen Jack und Moseh, so fest sie konnten, an de Aths Armen und zogen ihn wieder hoch, als wäre er Enoch Roots Jojo. Tief aus jeder Schulter kam ein lautes Knacken. Edmund de Aths Schrei, dem Fanfarenstoß des legendären Rolandshorns gleich, war vermutlich mehrere Gebirgszüge weit zu hören. Natürlich leerten sich dadurch seine Lungen, woraufhin er tief einatmen musste, was so schmerzvoll war, dass er gleich weiterschrie.
Doch nach einer Weile klang dieses Pendelphänomen ab, und de Ath saß wieder in derselben Position wie vorher, nämlich kerzengerade mit den Armen auf dem Tisch. Aber jetzt ballte und entspannte er vorsichtig seine Fäuste, und im Licht der Kerze, die Jack und Moseh mitgebracht hatten, schien sein Fleisch eine eher rosafarbene Grautönung anzunehmen.
    »Entschuldigt mich, ich will versuchen, nach theologischen

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