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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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das anfängliche Caramba! von der anderen Mauer des Gefängnishofes zurückgeworfen worden war. Als er über den Tisch langte, schlugen die Perlen seines riesigen Rosenkranzes – Walnussschalen an einem Kuhhautriemen – gegen den Rand eines mit Honig gefüllten Kruges. Sein Arm schoss aus dem Ärmel hervor, wodurch eine Art Leiter aus Striemen und Narben sichtbar wurde, von denen manche frischer waren als andere. Sein Schultergelenk rumpelte und krachte wie ein Fass, das über Pflastersteine rollt. Die meisten der Männer am Tisch fühlten seinen stechenden Schmerz in ihren eigenen Schultern mit und atmeten scharf ein. Mosehs gewinnendes Lächeln verhärtete sich zu einer schaurigen Grimasse, aber er bekam Señora de Fonsecas Teller zu fassen und zog ihn weg. »Erlaubt mir, Euch neue zu holen...«
    Diego de Fonseca warf einen Seitenblick auf seine Frau, die den Kopf in den Nacken gelegt hatte, was ihre Kinne auf nur mehr drei verringerte, und das Rankengeflecht über sich anfunkelte, das vor sechsfüßigem Leben nur so bebte. Der Direktor, auch nicht gerade ein dünnes Exemplar, beugte sich leicht zu Moseh hinüber und sagte: »Das ist äußerst christlich von Euch... aber wir mögen unsere Tortillas lieber mit fettem Speck und haben sie eigentlich noch nie zuvor mit Olivenöl zubereitet gesehen...«

    »Ich könnte einen Indianer losschicken, Señor Direktor...«
    »Macht Euch keine Mühe, wir sind satt. Im Übrigen...«
    »Ich wollte es gerade sagen!«, unterbrach ihn Jack. »Im Übrigen geht Ihr und die Señora heute Abend nach Hause!«
    Diego de Fonseca spannte kaum merklich seine Kiefermuskulatur an und bedachte Jack mit demselben Blick, den seine Frau kurz zuvor auf die Schabe geworfen hatte. Zum Glück hatte Señora de Fonseca ihre Aufmerksamkeit bereits verlagert: »Bei Euch achtet Ihr doch so sehr auf Sauberkeit«, bemerkte sie, während sie einen benachbarten Gang hinunter schaute, wo mehrere Gefangene mit Bündeln aus Weidenzweigen die Pflastersteine kehrten. »Trotzdem deckt Ihr Eure Festtafel unter freiem Himmel, abgesehen von diesem erbärmlichen Dach aus verseuchten Ranken.«
    »Aus Eurem Ton schließe ich, dass Ihr unserer Unbeholfenheit ratlos gegenübersteht, wo eine weniger von christlicher Nächstenliebe erfüllte Señora sich über unsere Unhöflichkeit ärgern würde«, sagte Moseh.
    »Ganz recht! Also die Burschen mit den Weidenzweigen kehren den Boden nicht, sie verprügeln ihn!«
    »Die gehören zu der Gruppe jüdischer Mönche, die wir vor drei Jahren in dem Dominikanerkloster festgenommen haben«, sagte Diego.
    Aus dem Mund jedes anderen Direktors eines Inquisitionsgefängnisses hätte das nach einer Wertung, ja sogar nach einer Verurteilung geklungen. Aber Diego de Fonseca leitete etwas, was weit und breit als das mildeste und bequemste Inquisitionsgefängnis im ganzen Spanischen Reich galt, und er sagte es in freundlichem Plauderton. Dann steckte er sich rasch ein in Honig getunktes Stück Feingebäck in den Mund.
    »Das erklärt alles!«, sagte Moseh. »Diese Dominikaner sind so reich, dass jeder Mönch ein halbes Dutzend Indianer als Haushälter einstellt und folglich nichts von häuslichen Tätigkeiten versteht.« Er legte seine gewölbten Hände an den Mund. »Hört mal, Bruder Christopher! Bruder Peter! Bruder Diaz! Hier sind Ladys zugegen! Versucht, ein bisschen Staub zu bewegen, wenn ihr schon den Hof fegt, ja?«
    Die drei Mönche richteten sich auf und funkelten Moseh an; dann bückten sie sich wieder und fingen an, Staub über die Steine zu kratzen. Wolken vulkanischer Asche bildeten sich und stiegen bis zu ihren Knien auf.
    »Und was diese schlechte Bedachung betrifft, kann ich Euch nur
um Verzeihung bitten, Señora«, fuhr Moseh fort. »Wir liegen gerne hier draußen, um uns nach einer Frage-Antwort-Sitzung mit dem Inquisitor zu erholen, und haben deshalb die Ranken so wachsen lassen, dass sie uns vor der Nachmittagssonne schützen.«
    »Ich kann aber durch die Lücken deutlich sehen, wie die Sterne aufgehen. Habt Ihr denn keinen Mist zum Düngen?«
    Worauf die naheliegende Antwort gelautet hätte: Mist?! Die Geistlichen überhäufen uns damit, und wir geben alles dem Inquisitor zurück , aber bevor Jack das sagen konnte, brachte Moseh ihn vorsorglich mit einem Blick zum Schweigen und sagte: »Wenn die Ranken uns schützen, danken wir dem Herrn Jesus dafür, und wenn sie es nicht tun, werden wir daran erinnert, dass wir am Ende alle auf den Schutz Gottes im Himmel angewiesen

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