Confusion
Abendgesellschaft teuren Kaffee servieren.
Seht Ihr, Jack, wir haben Monsieur Esphahnian glauben gemacht, seine Brüder wären von Euch verraten worden und siechten in Schuldtürmen rund um Paris an Typhus dahin. Seine Freude, wenn er erfährt, dass dem nicht so ist, wird sich die Waage halten mit einer gewissen Verlegenheit darüber, dass er Euch zu Unrecht an uns verraten und außerdem seinen Anteil an dem Silber und Gold im Laderaum der Minerva verloren hat. Ich frage mich, welcher dieser drei Gründe ihn am meisten peinigt: dass er seine Freunde hinterging, dass er ein Vermögen wegwarf oder dass er betrogen wurde. Pater Édouard wird in ein paar Tagen in Versailles ankommen – er wird Monsieur Esphahnian davon in Kenntnis setzen, dass das fehlende Gold die ganze Zeit am Rumpf des Schiffes befestigt war – das dürfte seine Höllenqualen vervollständigen. Das ist, glaube ich, eine bessere Folter als alles, was die spanische Inquisition je ersinnen konnte. Aber für Euch habe ich noch Besseres auf Lager, Jack!«
Damit ging er hinaus.
Eine Tür öffnete sich und eine Frau betrat das Schlafgemach. Jack erkannte sie nicht sofort, aber nur, weil er es nicht wollte. Sie hatte sich verändert, aber nicht so sehr. Er konnte es einfach nicht ertragen, den Blick auf sie zu richten.
Nasr al-Ghuráb hatte ihnen erzählt, dass die Osmanen bei der Plünderung von Konstantinopel in einem Verlies eine Vorrichtung gefunden hatten, mit der die Byzantiner einst adligen Gefangenen das Augenlicht geraubt hatten. Sie war nicht zum Ausstechen oder Aushöhlen gedacht. Die Vorrichtung bestand aus einer großen, halbkugelförmigen Schale aus Kupfer mit einer Art Schraubstock in der Mitte. Zuerst wurde die Schale erhitzt, bis sie glühte, und dann der – bis auf die Augen maskierte – Kopf des Gefangenen in den Schraubstock gespannt. Das Gerät war so ausgelegt, dass die Pupillen des Opfers sich genau im Zentrum der Schale befanden. Wenn die Augenlider hochgezogen wurden, konnten die Augen nichts als einen flächigen Himmel aus rotem Wüten sehen, der zerstörte, noch während er blendete. Die empfindlichen Teile des Auges wurden innerhalb kürzester Zeit verbrannt, und das Opfer erblindete vollkommen, ohne dass die Augen selbst von irgendetwas anderem als diesem furchtbaren letzten Anblick berührt worden wären.
Seitdem er diese Geschichte gehört hatte, hatte Jack sich in Mußestunden manchmal gefragt, welche Gedanken wohl demjenigen, der in diese Vorrichtung gespannt war, durch den Kopf gingen. Wehrte er sich? Konnte er das überhaupt? Wurden widerspenstige Augenlider mit Zangen zurückgezogen, oder wurde das Opfer irgendwie gezwungen, sie selbst zu öffnen?
In einer ganz ähnlichen Verfassung verfolgte er Elizas Eintritt in das Schlafgemach, ohne sie direkt anzuschauen. Am Ende hielt er es jedoch nicht aus, die Augen nicht zu öffnen und nicht anzuschauen, was da war, mochte es ihn auch blenden und verbrennen.
Sie hatte mit reichen Leuten zu Abend gespeist, und irgendwann legte sie ihr Kleid ab, wusch sich das Gesicht, zog die schwarzen Schönheitspflästerchen ab, streifte ein Schlafgewand über und löste ihr Haar. Hofdamen kamen und gingen. Ein Mädchen von vielleicht neun, dessen Augen und Gesicht durch die Blattern entstellt waren, kam ins Zimmer und krabbelte auf Elizas Schoß, um für ein paar Minuten gewiegt und liebkost zu werden; Eliza las ihr aus einem Buch vor, dann schickte sie das Mädchen zu Bett, nicht ohne vorher ihr geschundenes Gesicht mit Küssen zu bedecken. Ein Kindermädchen
führte einen etwa siebenjährigen Jungen herein, der bislang von den Pocken verschont geblieben war – aber auf eine Weise war er für Jack noch schlimmer anzusehen, denn er hatte dieselbe Missbildung des Kiefers wie die beiden letzten Herzöge von Arcachon. Doch Eliza lächelte, als er hereinkam, drückte ihn an sich und las ihm genauso vor, wie sie es mit dem blatternarbigen Mädchen getan hatte. Das Kindermädchen brachte den Jungen fort, und Eliza saß eine Weile allein da und widmete sich ihrer Korrespondenz; sie ging ein Häufchen von Notizzetteln durch und schrieb zwei Briefe.
Nun kam Étienne in das Schlafgemach, streifte mit einer Drehbewegung seinen Mantel ab und warf seinen Stoßdegen auf eine Fensterbank. Eliza grüßte ihn flüchtig über die Schulter. Étienne schritt am Bett entlang auf Jack zu, löste seine Krawatte, ließ beiläufig die Reitpeitsche schwirren. Vor dem Spiegel blieb er stehen und tat, als
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