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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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dem Durchgang, wo ein eisernes Gitter an der Wand lehnte: ein vor tausend Jahren geschmiedetes Fallgitter, das in irgendeinem Aufstand heruntergerissen und beiseitegeworfen und seither dem Rost und den Spinnweben überlassen worden war. Die Bretonen drückten Jack mit gespreizten Armen und Beinen dagegen und banden ihn mit Seilen fest. Dabei wurde deutlich, dass sie Seeleute waren. Als Jack den Mund öffnete, um darüber eine Bemerkung zu machen, stopfte einer von ihnen ihm rasch einen Lumpen als Knebel hinein, schnürte ihn fest und band
seinen Kopf an das Gitter. Sogar seine Finger wurden festgezurrt, was Jack unbegründet fand, außer sie fürchteten, er würde per Klopfzeichen irgendeine Nachricht übermitteln. Als sie mit ihrem Werk zufrieden waren, schleppten sie das Gitter mit Jack und allem ein kurzes Stück den Gang entlang und durch einen Vorhang aus schimmeligem Segeltuch. Jack schaute unvermutet ins Licht und war für ein paar Augenblicke geblendet. Als seine Augen sich daran gewöhnt hatten, dachte er, er sei wieder in dem Schlafgemach, in dem sie ihn die erste Woche festgehalten hatten. Doch als er alles klarer sehen konnte, ging ihm auf, dass er von außen in dieses Schlafzimmer blickte. Er schaute durch die Rückseiten der Spiegel, die in die Wand eingesetzt waren. Von hier aus konnte er den ganzen Raum überblicken; er befand sich am Kopfende des mit einem Baldachin versehenen Betts, auf Armeslänge von da, wo ein Schläfer oder eine Schläferin den Kopf hinlegte.
    »Das ist ein Baustil, der mir gute Dienste geleistet hat«, sagte eine Stimme auf Französisch.
    Jack wäre aus der Haut gefahren, wäre er nicht festgebunden gewesen, denn die Bretonen hatten sich verabschiedet, und mit jemand anderem hatte er hier drin nicht gerechnet. Das Einzige, was er bewegen konnte, waren die Augäpfel. Indem er sie so weit wie möglich drehte, konnte er in einer finsteren Ecke dieser verborgenen Kammer eine Bewegung wahrnehmen.
    Ein Mann tauchte auf. Er trug eine Perücke – weiß gepudert, wie es neuerdings üblich war – und Kleider, von denen Jack nur vermuten konnte, dass sie der ausgesuchtesten Pariser Mode entsprachen, so lächerlich waren sie. An einer seiner Hände war irgendetwas komisch, aber abgesehen davon sah er ausgesprochen gut aus, und (wie Jack jetzt, selbst mit einem schmutzigen Lumpen im Mund, feststellen konnte) er roch gut.
    »Ich werdet mich nicht erkennen, fürchte ich«, sagte der einzige Mann im Raum, der sprechen konnte. »Ich erkenne Euch ja kaum. Wir haben uns zuletzt im großen Ballsaal meiner Residenz in Paris gesehen, im Hôtel d’Arcachon. Ihr habt Euch damals hastig – und unhöflich – vom größten Teil von mir verabschiedet; nur meine Hand habt Ihr, in den Zügeln dieses prachtvollen Pferdes verheddert, noch mehrere Meilen weit mitgenommen. Sie wurde später mitten auf dem Postweg nach Compiègne gefunden; mein Siegelring steckte noch an einem Finger, sodass sie sich zu mir zurückverfolgen ließ. Ihr hattet aber noch nicht genug davon, Körperteile derer von Lavardac neu zu
arrangieren, denn einige Jahre später habt Ihr mir liebenswürdigerweise den Kopf meines Vaters geschickt.«
    Étienne de Lavardac, Duc d’Arcachon, hob jetzt seinen Armstumpf, sodass Jack ihn betrachten konnte. Eine Art Becher war daran befestigt, und daraus ragte eine schwarze Lederreitpeitsche hervor. Wäre Jack nicht geknebelt gewesen, hätte er sich jetzt ein paar Bemerkungen darüber erlaubt, dass Étienne im Vergleich zur spanischen Inquisition eine armselige und enttäuschende Auffassung davon hatte, wie man Schmerzen zufügte; der Franzose erriet jedoch seine Gedanken. »Oh, das ist nicht für Euch gedacht. Meine Rache an Euch habe ich siebzehn Jahre lang in meinem Herzen bewegt und vorbereitet, dafür bedarf es mehr als nur einer Reitpeitsche. Es braucht seine Zeit, ein Bauwerk wie dieses zu errichten, müsst Ihr wissen! Ich habe mehrere davon in Auftrag gegeben: Es gibt noch eins in St. Malo und ein weiteres in La Dunette. Ich habe in ihnen gestanden und zugesehen, wie meine Frau sich für Sergeanten und Kryptologen zur Hure machte. Das ist allerdings nicht der Grund, weshalb ich sie habe bauen lassen. Erst heute werden diese Kammern ihrem eigentlichen Zweck zugeführt. Vrej Esphahnian befindet sich genau in diesem Moment in der in La Dunette. Genauso festgeschnürt wie Ihr, starrt er durch einen solchen Spiegel und lauscht, wie seine Brüder in den feinsten Kleidern den Gästen einer

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