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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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lange gelebt hatte, wie er hätte sollen, war es gar nicht übel; genaugenommen war es sogar vergnüglich, zu sehen, wie sehr Eliza nicht unter Étiennes Knute stand. Hauptquelle von Jacks Unbehagen war letztlich ein Gefühl, das einfachen Soldaten, Patienten beim Arzt und Leuten, denen die Haare geschnitten werden, wohl bekannt ist, nämlich die Angst, ganz und gar einem Stümper ausgeliefert zu sein.
    Nach dem dritten Abend wurden gleichsam die Kulissen abgebaut. Jack wurde in seine Zelle gesperrt, um das erste Jahr seines Martyriums zu beginnen, und die Météore segelte nach Süden davon.
    Jack lebte sich ein und fing an, sich mit seinen Kerkermeistern anzufreunden. Sie hatten die strikte Order, nicht mit ihm zu sprechen, aber sie konnten nicht umhin zu hören, wenn er redete, und er merkte, dass seine Geschichten ihnen gefielen.
    Einen ganzen Monat verbrachte er dort. Dann kam eine französische Fregatte und nahm ihn mit. Sie gaben ihm Kleider, Seife und ein Rasiermesser. Jack hatte eine höchst vergnügliche Reise nach Le Havre, denn er wusste, dass es auf der ganzen Welt nur einen Mann gab, der die Befehle von Étienne de Lavardac, Duc d’Arcachon, hatte aufheben können.

BUCH FÜNF
    Das Komplott

Hôtel Arcachon
    OKTOBER 1702
    »Es tut uns sehr leid, von Eurem kleinen Schiffbruch zu erfahren«, sagte König Ludwig XIV. von Frankreich. »Aber Ihr könnt Euch glücklich schätzen, dass Ihr Euch nicht auf der spanischen Schatzflotte eingeschifft hattet. Die englische Marine ist in der Bucht von Vigo über sie hergefallen und hat mehrere Millionen Pesos auf den Meeresgrund geschickt.«
    Der König von Frankreich schien von dieser Nachricht nicht sonderlich betroffen, sondern allenfalls gelinde amüsiert. Seine Majestät saß in dem größten Lehnstuhl, den die abendländische Zivilisation zu bieten hatte, im großen Ballsaal des Hôtel Arcachon in Paris. Jack hatte sich zu seiner nicht geringen Überraschung auf einen Hocker setzen dürfen. Der König von Frankreich und der König der Landstreicher waren miteinander allein; Ersterer hatte mit großer Gebärde seine prächtigen Höflinge hinausgeschickt, die darob große Konsterniertheit an den Tag gelegt hatten. Nun konnte Jack das Gemurmel ihrer Stimmen in der Galerie draußen hören, während sie Pfeife rauchten und einander geistreiche Bemerkungen zuwarfen.
    Aber er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Und das, so argwöhnte er allmählich, war Absicht. Der Saal war groß genug, um Pferderennen darin zu veranstalten, aber man hatte bis auf den großen Lehnstuhl und den Hocker, die in der Mitte standen, sämtliche Möbel daraus entfernt. Der König konnte sicher sein, dass alles, was er sagte, von Jack und sonst niemandem gehört wurde.
    »Wisst Ihr«, sagte Jack, »ich war eine Zeitlang König in Hindustan, und meine Untertanen pflegten wegen einer Kartoffel außer sich zu geraten, die für sie ebenso viel wert war wie eine Schatztruhe. Zunächst wollte ich alles über die fragliche Kartoffel wissen und interessierte mich sehr für die Sache, doch gegen Ende meiner Regentschaft...«

    An dieser Stelle verdrehte Jack die Augen, wie es Franzosen häufig bei Begegnungen mit Engländern taten. Leroy schien vollkommen zu verstehen, was er meinte. »Es ist bei jedem König das Gleiche.«
    »Kartoffeln wachsen nach«, betonte Jack.
    Ludwig fasste dies als geistreichen und dennoch tiefsinnigen Denkspruch auf. »In der Tat, mon cousin; und genauso wird es stets noch andere Pesos geben, solange das Metallherz in La Ciudad de Mexiko weiterhin schlägt.«
    Jack wusste nicht recht, warum König Ludwig XIV. ihn mein Cousin nannte, vermutete jedoch, dass es sich um eine Frage des Protokolls handelte. Jack war einmal König gewesen. Zwar nur König über einen Graben in Hindustan, aber gleichwohl König.
    »Es gibt so vieles, das man besser ignoriert«, versuchte es Jack in der Hoffnung, dass Leroy ihm beipflichten und das Prinzip auf seinen speziellen Fall anwenden würde.
    »Der König darf sich nicht zu diesem Gezänk herablassen«, sagte Leroy. »Er ist Apoll, der in seinem strahlenden Wagen über allem schwebt und die ganze Welt gleichsam wie einen Hof sieht.«
    »Ich hätte es nicht besser formulieren können«, sagte Jack.
    »Doch selbst der strahlende Apoll hatte seine Widersacher: andere Götter und widerwärtige Ungeheuer, vor aller Zeit aus der Erde und der Tiefe gezeugt. Die Legionen des Chaos.«
    »Ich selbst musste mich nie mit diesen Legionen des Chaos

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