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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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über das Wasser zu gleiten, als dass sie es durchpflügte. Ein Schiff, das seit vor Veracruz nicht mehr gereinigt worden war, hätte normalerweise eine zu dicke Kruste aus Bernakelmuscheln, um so viel Fahrt zu machen, aber die Minerva bewegte sich, als wäre ihr Rumpf frisch freigekratzt und angestrichen worden. Erst als sie leicht ihren Kurs änderte und die Sonne sich in ihrem aus dem Wasser ragenden Rumpf spiegelte, verstand de Gex, warum: Der Rumpf des Schiffs war unterhalb der Wasserlinie von vorne bis hinten mit Platten aus gehämmertem Gold ummantelt worden.
    Jetzt war nur ein Stückchen von dieser Ummantelung sichtbar, aber es warf seinen Glanz über den Hafen wie eine Lampe ihren Lichtstrahl durch einen Schlitz in der Tür. Jeder hatte es gesehen, und ein paar französische Schiffe brachen jetzt zu einer hoffnungslosen Verfolgungsjagd auf, aber die meisten der Seeleute waren damit zufrieden, an der Reling ihrer vor Anker liegenden Schiffe zu stehen und es mit offenem Mund zu bestaunen. Jack wusste, was diese Matrosen dachten. Ihnen war der Wert des Goldes gleichgültig, und sie glaubten sicherlich nichts von dem Unsinn über den Schatz des Königs Salomon. Stattdessen dachten sie: Wenn ich Matrose auf diesem Schiff wäre, brauchte ich nie wieder eine Bernakelmuschel abzukratzen.
     
    Jack fand es merkwürdig, dass de Gex die Minerva so überstürzt hatte fahren lassen, wenn man bedachte, dass er diese Angelegenheit über mehr als zehn Jahre hinweg verfolgt, dafür eine Reise um die Welt auf sich genommen, den Schiffbruch der Manila-Galeone überlebt, sich freiwillig der Folter ausgeliefert hatte und so weiter. Am nächsten Tag wurde Jack klar, warum de Gex gewollt hatte, dass die Minerva und der größte Teil der französischen Flotte aus dem Hafen ausliefen. Segel durchbrachen den südlichen Horizont und ein Schiff kam in Sicht, das den Holländer-Hammer geschickt umfuhr und direkt unterhalb des Schlosses vor Anker ging. Jack erkannte sie schon von weitem. Er hatte sie zuletzt, durchlöchert und entmastet, in Alexandria gesehen. Seitdem war die Météore von Schiffsbaumeistern überholt und gereinigt worden, die, gemessen am Ergebnis ihrer Arbeit, eine Menge Geld verlangt haben mussten.
    Lange bevor die Jacht nahe genug gekommen war, dass irgendjemand auf ihren Decks ihn hätte mit einem Kieker ausmachen können, wurde er in seine Zelle zurückgebracht. Das gab ihm einen weiteren
Hinweis darauf, wer womöglich an Bord war. Später wurden seine Vermutungen durch das entfernte Lachen von Frauen und Kindern bestätigt, das er hören konnte, wenn er sein Ohr an den Schlitz unter seiner Tür legte. Das hier war kein Unternehmen zur See, sondern eine Kreuzfahrt, die zeitlich so geplant worden war, dass sie Qwghlm in den magischen vierzehn Tagen Ende August, Anfang September erreichte, wo die Schneestürme am wenigsten häufig auftraten. Jack kam sich vor, als wäre die eiskalte Kanonenkugel, die er die vergangenen zwei Wochen mit sich herumgeschleppt hatte, jetzt in seine Brust eingepflanzt und sein Herz herausgerissen worden, um ihr Platz zu machen. De Gex hatte sich bisher seltsam abgeneigt gezeigt, ihn zu foltern, und Jack hatte sich schon gefragt, was für neue, unerträgliche Schrecken er wohl für ihn auf Lager hatte. Aber so schlimm hätte er sie sich nie vorgestellt! Ihm war klar, wie das enden würde: Man würde ihn nackt und in Ketten hier heraus- und vor Eliza zerren, und dann würde de Gex die lustige Geschichte erzählen, wie Jack zwei Mal alles Geld der Welt besessen und es zwei Mal verloren hatte.
    Ein paar Stunden nach der Ankunft der Météore , als die Düfte der französischen Küche das ganze Schloss durchdrungen hatten, kamen kräftige Bretonen in Jacks Zelle und schleppten ihn zu einem Teil des Châteaus, der, soweit Jack das beurteilen konnte, in der Nähe der Schlafgemächer lag. Es war ein fensterloser und deshalb von Fackeln erleuchteter Korridor, der sich an eine unregelmäßige Abfolge von Kammern, Nischen und offenen Bereichen anschloss. Beim Umbau des Schlosses war ihm wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden, denn er sah immer noch ziemlich genauso aus, wie die letzte Bande von Wikingern, Sarazenen oder Schotten ihn verlassen hatte. Hier und da erspähte Jack die Rückseite einer Wand, wo Teile von Latten- oder Flechtwerk mit Überresten von Putz oder Lehmbewurf zu sehen waren. An manchen Stellen waren Fässer und Kisten gestapelt. Die Männer brachten Jack zu einer breiteren Stelle in

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