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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Natürlich waren die Pflanzen jetzt tot und braun, aber die Schnörkel der modellierten Hecken zogen gleichwohl ihren Blick auf sich und boten ihr etwas zum Bestaunen, während sie eine Frage zu beantworten begann, die Bon-Bon ihr gerade gestellt hatte.
    Sinngemäß wollte er wissen, was zum Teufel sie hier zu suchen habe. Aus irgendeinem Grund ärgerte sie die Frage ein bisschen.
    Sie war am Vorabend erschöpft und schmutzig aufgetaucht, ohne einen Gedanken daran, irgendetwas anderes zu tun, als Jean-Jacques irgendwo zu Bett zu bringen und sich dann selbst in ein Bett fallen zu lassen und ein paar Jahrzehnte lang zu schlafen. Stattdessen war sie die halbe Nacht wach gewesen und hatte sich mit Bon-Bon vergnügt. Dennoch fühlte sie sich jetzt wacher und erfrischter, als wenn sie die gleiche Zeit in tiefem Schlummer verbracht hätte. Vielleicht also war das, was sie am Vorabend für Müdigkeit gehalten hatte, ein ganz anderer Zustand gewesen.
    Er hatte so viel Anstand besessen, nicht nachzufragen, was denn los sei. Stattdessen hatte er das plötzliche Eintreffen von Eliza und ihrer Entourage vor seinen Toren anstandslos, ja sogar mit Humor hingenommen. So hatte es ihr gefallen, und gefallen hatte ihr auch, was danach stattgefunden hatte. Doch nun, da die Sonne aufgegangen war und sie ihre Lust ausgelebt hatten, ergab sich die fade Notwendigkeit, Erklärungen zu liefern. Bestimmte Bereiche ihres Verstandes mussten aufgeweckt werden und waren davon nicht sehr beglückt. Sie starrte auf den toten Park, folgte mit ihrem Blick den Mustern der Hecken und bezähmte ihre Verärgerung.
    »Ihr hattet in einem Schreiben an mich erwähnt, dass Ihr eine Reise nach Lyon ins Auge fasst«, fühlte Rossignol vor.
    »Ja«, sagte Eliza. »Die Reise nach Lyon dauerte zehn Tage.«
    »Zehn Tage! Seid Ihr zu Fuß gegangen?«
    »Allein hätte ich es schneller geschafft, aber ich reiste mit einem fünf Monate alten Baby. Der Tross bestand aus zwei Kutschen, einem Gepäckkarren
und einigen Vorreitern und Lakaien, die ich mir von Leutnant Bart und den Ozoirs geborgt hatte«, sagte Eliza.
    Rossignol zog ein Gesicht. »Eine schwerfällige Art der Fortbewegung.«
    »Die ersten zwanzig Meilen waren die schwierigsten, wie Ihr wisst.«
    »Dünkirchen hat praktisch keine Verbindung mit Frankreich«, pflichtete Rossignol bei.
    »Wart Ihr schon einmal in Lyon?«
    »Nur kurz, auf der Durchreise nach Marseille.«
    »Und fandet Ihr es im Vergleich mit Paris seltsam öde und freudlos?«
    »Mademoiselle, ich fand es sogar im Vergleich mit Den Haag öde und freudlos!«
    Eliza lachte nicht über die geistreiche Bemerkung, sondern wandte lediglich dem Fenster einen Moment lang den Rücken zu, um Rossignol zu betrachten. Er lag, an einen Berg von Kissen gelehnt, im Bett, von der Hüfte aufwärts der kalten Luft ausgesetzt. Der Mann verbrannte Essen, wie ein Schmiedeherd Kohle verbrannte, wurde niemals dick und schien niemals zu frieren.
    »Das liegt daran, dass Ihr keine Achtung vor dem Handel habt. Ich fand die Stadt höchst interessant.«
    »Aha. Doch, ja, ich weiß darüber Bescheid«, räumte Rossignol ein. »Der große Knotenpunkt, wo der Mittelmeerraum mit dem Norden handelt. Das hört sich so an, als müsste es interessant sein. Doch wenn man sich dorthin begibt, sieht man nur Lagerhäuser, Seidenfabriken und ausgedehnte Flächen schlichten offenen Geländes.«
    »Natürlich erscheint es einem langweilig, wenn man es nur ansieht«, sagte Eliza. »Interessant wird es erst, wenn man sich an dem beteiligt, was in diesen langweiligen Lagerhäusern vor sich geht.«
    Rossignols schwarzäugiger Blick irrte zu einigen Papieren ab, die auf einem Nachttisch lagen. Er bereute bereits, sie um eine Erklärung gebeten zu haben, und hoffte, sie würde sich kurz fassen.
    Eliza trat neben das Bett und fegte die Papiere mit der Hand auf den Boden. Dann hob sie ein Knie auf das Bett, krabbelte quer darüber, schwang ein Bein über Rossignol und ließ sich resolut auf seinem Becken nieder. »Ihr habt gefragt«, erinnerte sie ihn, »und ich habe eine Antwort für Euch, die Ihr Euch anhören werdet, und mehr noch, wenn ich fertig bin, werdet Ihr zugeben, dass sie interessant ist.«
    »Ihr habt meine Aufmerksamkeit, Mademoiselle«, sagte Rossignol.
»Lyon. Vermutlich hat man dort vor zweihundert Jahren ausgedehnte ländliche Jahrmärkte abgehalten. Wie Ihr wisst, wurde die Gegend von Florentinern kolonisiert, die hofften, mit dem Verkauf von Gütern an dieses unzivilisierte

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