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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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ich Lyon nicht schon gekannt, wäre das in meinen Ohren
eine äußerst eigenartige Einladung gewesen«, gab Eliza zu, »doch als ich dort anlangte, fand ich den Ort höchst angenehm. Das Haus liegt auf einer grasigen Böschung, die sich östlich des Handelsdistrikts über der Rhône erhebt. Die Leute besitzen mehr Land, als sie brauchen, und haben einen Teil davon an einen benachbarten Winzer verpachtet. Die Weinlese war vorbei, sodass die Reben nicht mehr viel hermachten, aber das Wetter war schön, und wir saßen in einer Laube auf der Terrasse dieses steinernen Gebäudes voller Wachs und tranken russischen Tee, der mit litauischem Honig gesüßt war. Die Töchter des Wachs-Magnaten spielten mit Jean-Jacques und sangen ihm jiddische Kinderlieder vor.
    Zu Samuel und Abraham de la Vega und Jacob Gold sagte ich, dass mir Lyon sehr seltsam vorkomme.«
    »Das hätte ich Euch auch sagen können, Mademoiselle«, sagte Rossignol.
    »Aber wir beide halten die Stadt aus unterschiedlichen Gründen für seltsam, Bon-bon«, sagte Eliza. »Hört zu und lasst es mich erklären.«
    »Was ist mit diesen Juden? Was dachten sie?«
    »Sie empfanden es ganz ähnlich, hatten aber nicht recht mit der Sprache herausgewollt. Was ich also versuchte, Bon-bon, war, sie zum Reden zu bringen.«
    »Waren diese Juden denn für Euer Gambit empfänglich, Mademoiselle?«, fragte Rossignol.
    »Ihr seid unmöglich«, sagte Eliza.
     
    Mit vierundzwanzig war Samuel de la Vega der Senior unter den anwesenden Männern – denn die Ältesten des Stamms hatten Wichtigeres zu tun. Er zuckte die Achseln und sagte: »Wir sind hier, um zu lernen. Bitte sagt mehr.«
    »Ich habe mir eingebildet, Ihr wärt hier, um Geld zu verdienen«, sagte Eliza.
    »Das ist langfristig immer das Ziel. Ob wir bei dieser Bauholzgeschichte einen Gewinn machen, bleibt abzuwarten; aber wir haben von diesem Ort gehört und möchten mehr von seinen Eigenarten wissen.«
    Eliza lachte. »Warum soll ich mehr sagen, wenn Ihr nur so viel gesagt habt? Ihr kommt hierher, ohne zu wissen, ob es möglich ist, hier Geld zu verdienen. Es ist ein Ort, von dem Ihr gehört habt, was nicht gerade für seine Bedeutung spricht, und Ihr nähert Euch ihm wie einer Art Kuriosität. Würdet Ihr so auch von Antwerpen sprechen?«

    »Ich will es Euch erklären«, sagte Samuel. »In unserer Familie erkennen wir einen Gewinn erst dann als solchen an – wir setzen ihn erst dann in die Bücher -, wenn wir einen Wechsel in Händen halten, der in Amsterdam oder mittlerweile auch London zahlbar und auf ein Haus gezogen ist, das in einer oder beiden Städten eine wohl angesehene Niederlassung unterhält.«
    »Um es kurz zu fassen: bare Münze«, sagte Eliza.
    »Wenn Ihr so wollt. Und während wir mit Jacob Gold hierherfuhren, erzählte er uns von dem System in Lyon und wie es funktioniert.«
    Jacob Gold wirkte daraufhin so nervös, dass Eliza das Gefühl hatte, einen kleinen Scherz anbringen zu müssen, um ihn zu beruhigen. »Wenn ich da doch nur hätte lauschen können!«, rief sie aus. »Denn gestern beim Essen im Hause von Monsieur Castan bekam ich eine Beschreibung des nämlichen Systems – eine dermaßen schmeichelhafte Beschreibung, dass ich ihn fragte, warum es nicht überall angewendet wird.«
    Die anderen fanden das amüsant. »Wie hat Monsieur Castan darauf reagiert?«, fragte Jacob Gold.
    »Ach, er sagte, dass die Menschen andernorts kalt und misstrauisch seien, dass sie einander nicht so gut kennten wie hier in Lyon, dass sie nicht das gleiche Netz aus Vertrauen und alten Beziehungen aufgebaut hätten. Dass sie unter einer kleingeistigen, krämerhaften Besessenheit von Metallgeld litten und erst dann glaubten, dass ein richtiges Geschäft abgewickelt werde, wenn sie sähen, wie Münzen physisch von einer Stelle zur anderen bewegt würden.«
    Die anderen machten einen erleichterten Eindruck; denn nun wussten sie, dass sie Eliza diesen Sachverhalt nicht erst schonend beibringen mussten. »Ihr seid Euch also bewusst, dass, wenn in Lyon Rechnungen beglichen werden, alles in den Büchern geschieht. Ein an einer banca sitzender Mann schreibt in sein Buch: ›Signore Capponi schuldet mir 10 000 ecus au soleil ‹ - eine Währung, die übrigens nur in Lyon verwendet wird -, und für ihn ist das so gut, als hätte er Barrengold in seiner Schatulle. Wenn dann das nächste Mal Markt ist, stellt er vielleicht fest, dass er 15 000 ecus an Signore Capponi transferieren muss: Also wird er diesen Eintrag aus seinem

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