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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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begeben und auf Flussbooten nach Orléans zu fahren, was unendlich geräumiger und bequemer wäre, als wenn wir die gleiche Strecke auf der Straße zurücklegten. In Orléans würden wir mit unseren Pferden und Fahrzeugen zusammentreffen, die uns in Richtung Norden nach Paris und von dort nach Dünkirchen befördern würden.
    Wie Ihr wisst, fließt die Loire an Orléans vorbei nach Nantes. Die Strecke, die ich Euch eben beschrieben habe, war also die gleiche wie die, die das Bauholz nahm. Somit hatte der Plan, den ich geschildert habe, einen weiteren Vorteil, nämlich den, dass wir während der Fahrt
ein Auge auf die Baumstämme des Königs haben konnten. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich unterwegs ein Problem ergeben würde, wären wir sofort in der Lage, es zu beheben.«
    »Aber Mademoiselle«, sagte Rossignol, »nach Eurer Erzählung ist das fast einen Monat her. Was um alles in der Welt ist in der Zwischenzeit geschehen?«
    »Ein ausführlicher Bericht würde einen weiteren Monat in Anspruch nehmen. Ihr wisst, dass jedes der pays, aus denen sich la France zusammensetzt, seinen eigenen Straßen- oder Flussabschnitt kontrolliert und das Recht besitzt, Zölle und Abgaben zu erheben. Ihr wisst ferner, dass die Bevölkerung ein Flickenteppich aus Gilden, Zünften und Pfarreien ist, jede mit ihren eigenen speziellen Privilegien.«
    »Die vom König gewährt werden«, sagte Rossignol. Denn er schien ein klein wenig besorgt, dass Eliza gleich etwas Unhöfliches sagen würde.
    Was auch der Fall war; doch hier, im Reich der Geheimnisse, fühlte sie sich dabei sicher. »Der König gewährt diese Privilegien, um in den Menschen den Wunsch zu wecken, sich diesen Gilden und Zünften anzuschließen! Und so gewinnt der König Macht, indem er anbietet, ebendiese Privilegien zu erweitern, oder damit droht, sie zu beschneiden.«
    »Na und?«, sagte Rossignol naserümpfend.
    »Nach ein paar Tagen scherzte Abraham, die Reise sei unmöglich, sofern man sich nicht von einer Schwadron Advokaten begleiten lasse. Aber das vereinfacht das Problem allzu sehr. Da jedes pays seine eigenen speziellen Gesetze und Traditionen hat, gibt es nicht einen Anwalt, der sie alle beherrscht; in Wirklichkeit muss man also alle paar Meilen anhalten und einen anderen Anwalt dingen. Bis jetzt aber habe ich nur von den Gebilden gesprochen, die offizielle juristische Rechte besitzen, die Fortbewegung von Baumstämmen auf einem Fluss zu verhindern. Dies aber berücksichtigt nur die Hälfte der Schwierigkeiten, denen wir uns gegenübersahen. Es gibt auf den Flüssen Menschen, die einmal Piraten waren, aber zu Erpressern degeneriert sind. Wir bezahlten sie mit barer Münze, bis wir keine mehr hatten, und ab da mussten wir sie in Baumstämmen bezahlen. Jede Nacht kamen andere, weniger offiziell Organisierte, und bedienten sich. Wir hatten den Verdacht, dass das passierte, doch die Nachtwächter, die wir anheuerten, unterschieden sich kaum von den Dieben. Der einzig verlässliche Wächter, den wir hatten, war Jean-Jacques. Er wachte nachts
alle paar Stunden auf, und dann saß ich in meiner Kajüte, stillte ihn und sah dabei durch ein Fenster zu, wie sich die Einheimischen mit unseren Holzstämmen davonmachten.«
    »Es kann unmöglich alles so regellos zugehen, wie Ihr es darstellt«, wandte Rossignol ein.
    »Es gibt tatsächlich einen Apparat zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf den Straßen und Wasserwegen: diverse altehrwürdige Gerichtshöfe sowie prévots und baillis , die den örtlichen seigneurs berichten und angeblich bewaffnete Trupps zu ihrer Verfügung haben. Aber sie waren niemals da, wenn wir sie brauchten. Wenn ich jede Woche Baumstämme flussabwärts befördern würde, bliebe mir keine andere Wahl, als mich mit all diesen seigneurs zu verständigen. Ob sich das als billiger oder teurer denn das direkte Beraubtwerden erweisen würde, vermag ich nicht zu sagen. Unsere Fahrt die Loire hinab überraschte viele, die uns mehr gestohlen hätten, wenn wir nach einem vorhersagbaren Zeitplan vorgegangen wären.
    Die Loire ist besonders in ihrem Oberlauf an vielen Stellen von Sandbänken durchsetzt, und um an ihnen vorbeizukommen, muss man jeweils unterschiedlich verfahren: Hier muss man einen einheimischen Lotsen auftreiben und anheuern, dort muss man den Mühlenbesitzer bezahlen, damit er einen Schwall Wasser aus seinem Mühlenteich ablässt, der die Stämme über die Untiefe befördert.
    Ich könnte den ganzen Tag in dieser Art fortfahren. Es

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