Confusion
war; und an seiner Haltung war deutlich geworden, dass er wartete.
Für die Sorte von Menschen, die gemeinhin das Publikum für diese Geschichte abgaben, reichte dieses letzte Detail aus, um die Anekdote zu klassifizieren, als handelte es sich um ein neues botanisches Exemplar, das der Royal Society vorgelegt wurde. Sie gehörte zur Gattung »Standespersonen werden auf der Straße von Schurken angefallen«. Kein Typus war an französischen Tafeln populärer, weil Frankreich dermaßen groß war und dermaßen von Vagabunden und Straßenräubern unsicher gemacht wurde. Die Adeligen, die in Versailles zusammenkamen, waren gelegentlich genötigt, von ihren Lehnsgütern aus Reisen zu unternehmen, und die Gefahren und Kümmernisse solcher Reisen gehörten zu den wenigen Erfahrungen, die sie gemeinsam hatten, weshalb sie auch darüber redeten. Tatsächlich wurden solche Geschichten so häufig erzählt, dass alle sie satt hatten; doch neue Varianten wusste man infolgedessen umso mehr zu schätzen. Die von Upnor zeichnete sich durch zweierlei aus: Sie spielte in England, und sie war gewissermaßen auf den Prospekt der Revolution gemalt.
»Ich kenne diesen Abschnitt der Straße gut«, sagte Upnor, »und deshalb schickte ich einen meiner Squires – einen jungen Burschen namens Fenleigh – einen Nebenpfad entlang, der von der Hauptstraße abzweigte und zu einer Furt führte, die eine halbe Meile stromaufwärts von der Brücke lag.« Mit der Spitze seines Spazierstockes ritzte er eine grobe Karte in den Kiesweg.
»Mit meinem anderen Begleiter ritt ich entschlossen auf der Hauptstraße weiter und hielt dabei die Augen nach etwaigen Spießgesellen offen, die sich womöglich in den Büschen an den Brückenaufgängen verbargen. Aber da waren keine – der Reiter war allein!« Dies verwirrte oder faszinierte die Zuhörer. Es war eine weitere seltsame Abweichung von der üblichen Ländliche-Halunken-Geschichte; normalerweise wimmelten die Büsche von Keulen schwingenden Spitzbuben.
»Der Reiter bemerkte wohl, wie wir uns umschauten, denn er rief aus: ›Verschwendet keine Zeit, Mylord, das ist kein Hinterhalt. Ich bin allein. Ihr seid es nicht. Dementsprechend fordere ich Euch zum Duell, meine Klinge gegen Eure, keine Sekundanten.‹ Und er zog ein Langschwert, ein abscheuliches Gerät, genau das, was man als Erfindung von Bürgerlichen erwarten kann, wenn man ihnen erlaubt, Waffen zu tragen. Im Grunde eher ein Astschneider als eine Waffe. Auf einer Seite geschärft, wie ein Entermesser.«
Upnor erzählte die Geschichte natürlich auf Französisch. Er verlieh dem Schurken den gewöhnlichsten ländlichen Dialekt, den er zustande
brachte. Ein, zwei Minuten lang verbreitete er sich über den erbärmlichen Zustand des Pferdes des Halunken, das reif für den Abdecker und überdies völlig erschöpft gewesen sei.
Upnor galt als einer der besten Fechter unter den anglofranzösischen Adeligen. In jüngeren Jahren hatte er viele Männer im Duell getötet. Inzwischen schlug er sich nicht mehr so oft, da sein Stil auf Geschwindigkeit und scharfen Augen beruhte. Gleichwohl ließ allein schon die Vorstellung, dass ein solcher ungehobelter Kerl Upnor zum Duell forderte, die französischen Adeligen praktisch unter Lachtränen zusammensinken.
Upnor war so geschickt, die Geschichte ganz trocken zu erzählen. »Ich war... mehr als alles andere... verblüfft. Ich antwortete: ›Ich bin dir gegenüber im Nachteil, Bube – vielleicht sagst du mir, wer du bist, damit ich wenigstens weiß, warum du mich umbringen willst.‹
›Ich bin Bob Shaftoe‹, antwortete er.«
Dies führte wie immer dazu, dass sich Schweigen über Upnors Zuhörer senkte.
»›Irgendein Verwandter von Jacques?‹, fragte ich ihn.« (Denn ebendiese Frage stellten sich diejenigen, die sich um Upnor geschart hatten und ihm zuhörten.)
»Er antwortete: ›Sein Bruder.‹ Worauf ich sagte: ›Komm mit mir nach Frankreich, Bob Shaftoe, dann stecke ich dich auf eine Galeere im sonnigen Mittelmeer – vielleicht läufst du dort irgendwann deinem Bruder über den Weg!‹«
Das hörte Upnors Publikum gern. Denn sie alle wussten von Jacques Shaftoe oder L’Emmerdeur, wie er in diesen Kreisen hieß. In Gesprächen fiel der Name nicht mehr so häufig wie noch vor ein paar Jahren, denn man hatte nichts mehr von L’Emmerdeur gehört, seit er im Frühjahr 1685 in eine Gesellschaft im Hôtel Arcachon hineingeplatzt war und dort in Gegenwart des Königs eine schändliche Szene gemacht
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