Confusion
falschen Fuß erwischt. Sie war erst seit sieben Jahren in der Christenheit! Und sie hatte nur zwei Jahre gebraucht, um ihren ersten de Lavardac kennen zu lernen, und drei oder vier, um von fern den Duc d’Arcachon persönlich zu erblicken. Wäre sie ein wenig scharfsichtiger gewesen, hätte sie den Herzog schon längst als das erkannt, was er war, und ihn umgebracht.
Was hatte sie stattdessen getan? Gesellschaftlichen Umgang mit Naturphilosophen gepflegt. Vornehm getan. Geld gemacht. Das alles war jetzt vorbei.
Die Tränen, die nun über sie kamen, als sie das Tor der Koppel öffnete, Pascha gegenübertrat und alles sah und wusste, verhielten sich zu normalen, alltäglichen Tränen wie der Brand von Mr. Sluys’ Haus zu einer Kerzenflamme. Es wütete so rasch in ihr empor, dass es ein paar Augenblicke lang so schien, als hätte es die Kraft, die Grenzen ihres Körpers zu sprengen, Grashalme niederzudrücken, die Weide mit salzigem Tau zu überfluten, Pascha in seine arthritischen Knie brechen zu lassen, die Zäune niederzureißen und die Bäume wie in einem Eissturm nachgeben und ächzen zu machen. Was für Eliza besser gewesen wäre; so aber konnte dieser sich selbst speisende Wirbel aus Schmerz, Demütigung und Zorn ihrem Brustkorb nicht entkommen, und ihre Rippen wurden am stärksten strapaziert. Ausnahmsweise einmal war es gut, ein Korsett zu tragen, denn ohne diese Verstärkung hätte ihr dieses Schluchzen das Kreuz brechen können. Wie Sluys’ brennendes Haus heulte sie und knirschte mit den Zähnen, und die Tränen, die ihr entströmten, fühlten sich nicht weniger heiß an als Bäche geschmolzenen Bleis. Zum Glück für Eliza hatten sich alle Gäste, von ihrem eigenen fröhlichen Treiben taub gemacht, ein Stück weit entfernt versammelt. Der einzige Zeuge war Pascha. Ein jüngeres Pferd hätte die Verwandlung der Gräfin de la Zeur in eine Furie, eine Medea vielleicht erschreckt. Pascha drehte sich lediglich zur Seite, um Eliza besser im Auge behalten zu können, und knabberte am grünen Gras.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was über Euch gekommen ist, Mademoiselle«, sagte eine Frauenstimme. »Es ist die seltsamste Reaktion auf ein Pferd, die ich je gesehen habe.«
Die Herzogin von Oyonnax hatte den richtigen Zeitpunkt für ihren Auftritt gewählt. Eine Minute früher, und Eliza hätte sich nicht bremsen können, selbst wenn sämtliche Gäste plötzlich um sie herum erschienen
wären. Doch der Ausbruch hatte sich unmerklich zu einer langen, langsamen Folge von Schluchzern abgeschwächt, die endgültig verstummten, als Eliza bemerkte, dass sie beobachtet wurde.
Sie richtete sich auf, holte tief Luft, atmete schaudernd aus und bekam einen Schluckauf. Bestimmt war sie rot im Gesicht und sah vollkommen lächerlich aus, so viel wusste sie. Bestimmt sah sie so aus, als wäre sie seit ihrer ersten Begenung mit Pascha keinen Tag an Körper oder Geist gealtert. Das ließ sie leicht zusammenzucken; denn an jenem Tag hatte sie ihre Mutter für immer verloren. Und nun stand ganz plötzlich eine größere, ältere, reichere und kräftigere Frau vor ihr, die ebenso plötzlich und unerklärlich erschienen, wie ihre Mutter vor elf Jahren verschwunden war. Das war gefährlich.
»Sagt nichts«, sagte Madame la Duchesse d’Oyonnax, »Ihr seid nicht dazu imstande, und ich möchte gar nicht wissen, warum dieses Pferd eine solche Wirkung auf Euch hat. Bedenkt man, wem es gehört, kann ich nur annehmen, dass es sich um etwas Unaussprechliches handelt. Die Einzelheiten sind wahrscheinlich unschön und langweilig und ohnehin nicht wichtig. Alles, was ich von Euch wissen muss, Mademoiselle, habe ich vor, während und nach dem Diner in Eurem Gesicht gesehen: dass Geschichten von Frauen im Zustand der Sklaverei Euch im Allgemeinen seltsam faszinieren. Und im Besonderen, dass Ihr selbst Euch einmal in einer ähnlichen Notlage befunden habt; denn Ihr liebt Étienne de Lavardac nicht, werdet aber bald so in die Enge getrieben werden, dass Ihr ihn heiraten müsst. Dass Ihr seinen Vater, den Herzog, verabscheut. Bitte versucht erst gar nicht, dies alles zu leugnen, sonst, fürchte ich, werde ich Euch laut auslachen.«
Und sie hielt inne, um Eliza Gelegenheit dazu zu geben; diese aber schwieg.
Die Herzogin fuhr fort: »Ich verstehe derartige Situationen ebenso vollkommen, wie Monsieur Bonaventure Rossignol Geheimschriften versteht. Ich bildete mir ein, meine Lage sei auf der ganzen Welt einmalig, bis ich nach Versailles
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