Conte-Krimi - 13 - Hetzjagd am Grünen See
würde sein Freund für Augen machen!
Kapitel 29
Ein Blick durch das Fenster verriet Esther, dass sich der neue Tag ankündigÂte. Dichte, graue Nebelschwaden zogen vorüber. Sie fühlte sich so trostlos wie die Atmosphäre, die drauÃen herrschte. Die ganze Nacht hatte sie wach verbracht, war von einem Zimmer zum nächsten gegangen, hatte sich den Kopf zermartert, ob es richtig gewesen war, auf ihre Gefühle zu vertrauen. Sie hatte den Rat von Jürgen Schnur, auf sich selbst aufzupassen, einfach in den Wind geschlagen. Hatte die Kühnheit besessen, es besser zu wissen. Dabei war es ihr noch nie gelungen, einen Mann kennenzulernen, der ehrliche Absichten mit ihr hatte. Warum sollte das bei Harald Steiner anders sein?
Sie hatte sich von dem Altersunterschied blenden lassen, hatte darauf vertraut, ein Mann in seinem Alter wisse genau, was er vom Leben erwartet und würde die Spielchen hinter sich lassen. Hatte sie sich so in ihm geirrt?
Sie wollte ihm so gern vertrauen. Seine Beichte, dass er von Anne Richter niedergeschlagen worden war, und seine Bitte, nichts davon zu verraten, lasteten schwer auf ihr. Sie fühlte sich innerlich zerrissen zwischen dem Gedanken, ihrer Pflicht nachzukommen, und der Versuchung, durch beharrliches Schweigen einen schweren Verstoà gegen die Dienstvorschriften zu begehen. War er es wert? Diese Frage war schwer zu beantworten, weil sie gerade erst vor versammelter Mannschaft hören musste, warum er nach dem gescheiterten Einsatz so unmittelbar vom Polizeidienst zurückgetreten war. Steiner hatte Lena Ambruch persönlich gekannt, aber ihr gegenüber mit keinem Wort erwähnt.
Kopfschüttelnd ging sie von Zimmer zu Zimmer. Und doch verzehrte sich alles in ihr nach ihm. Er wirkte reif, erfahren, selbstsicher. Sein starkes Selbstbewusstsein gab ihr das Gefühl, behütet zu sein und gleichzeitig autark. Seine Ausstrahlung elektrisierte ihren Körper. Warum war sie heute Nacht nicht zu ihm gefahren? Es war ihr verletzter Stolz, weil er sie nicht an seinem Leben teilhaben lieÃ, wie sie sich das wünschte. Sie wollte dazugehören, er stieà sie ab.
Er war dieses Gefühlschaos nicht wert, das sie gerade durchmachte, dachte sie trotzig. Und doch führte jeder Schritt, den sie in ihrer kleinen Wohnung unternahm, ganz nah am Telefon vorbei.
Um sich abzulenken, warf sie den Staubsauger an und zog damit durch die gesamte Wohnung. Schon nach wenigen Minuten hörte sie ein empörtes Klopfen von der Wohnung nebenan. In aller Frühe an einem Sonntagmorgen zu staubsaugen kam bei den Nachbarn nicht gut an. Aber das war ihr egal. Sie musste sich abreagieren. Erst als sie jeden Winkel gereinigt hatte, stellte sie das Gerät ab. Geholfen hatte es nicht, ihre Nerven zu beruhigen. Kaffee trinken wollte sie auch nicht, das machte es noch schlimmer.
Ihre Wohnung lag im siebten Stock in der PreuÃenstraÃe in Saarbrücken. Die Lage war gut; in wenigen Minuten war sie zu Fuà auf ihrer Arbeitsstelle, genauso schnell gelangte sie ins Zentrum, in die BahnhofstraÃe oder zum St. Johanner Markt. Hinzu kam, dass sie den Verkehrslärm nicht hörte. Bis zu dieser Höhe drang lediglich ein leises Rauschen. In den Wintermonaten kamen ihr die beiden Zimmer klein vor, den Balkon konnte sie nur im Sommer nutzen, der nun wieder lange auf sich warten lieÃ. An diesem Morgen lastete die Enge besonders erdrückend auf ihr. Bei der Erinnerung an den Wald, den Steiner sein Zuhause nannte, glaubte sie, in ihren sechzig Quadratmetern zu ersticken. Hastig riss sie sämtliche Fenster auf und lieà die kalte, feuchte Luft hinein.
Auf ihrem Schreibtisch lagen immer noch die Akten, die sie von der Besprechung mitgenommen hatte.
Sie brauchte gar nicht erst zu versuchen, zu schlafen. Also lieà sie sich am Tisch nieder und begann zu lesen.
Das meiste kannte sie schon. Akten lesen war der langweilige Teil ihrer Arbeit, aber auch das musste getan werden. Sie rieb sich über die Augen, zog die kalte Luft tief ein, die durch das geöffnete Fenster hereinströmte, aber munter wurde sie dadurch nicht.
Doch dann stieà sie auf etwas, was sie sofort hellwach werden lieÃ.
Das erklärte seinen feinfühligen, ungezwungenen Umgang mit dem behinderten Jungen. Und seine Zuneigung zu ihm.
Immer wieder fiel ihr Blick auf das Telefon.
Wie ein Teenager fühlte sie sich, weil sie gegen alle Vernunft auf einen Anruf von ihm wartete, dabei
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