Cool Hunter
gerade höflich den Rückzug antreten, als ich hörte, wie Jen etwas in ihr Handy sagte. Der Portier und ich drehten uns fassungslos zu ihr um. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Jen sich Viviennes Telefonnummer
von der Liste abgeschrieben hatte, und er hatte wahrscheinlich noch nie jemanden so mit Miss de Winter sprechen hören.
»Vivienne? Hey, hier ist Jen – wir haben uns vor zwei Tagen auf Mandys Coolnessprobe kennengelernt … Hunter und ich stehen unten in der Lobby und an deiner Stelle würde ich jetzt gut zuhören. Ich gehe mal davon aus, dass du dir heute Morgen die Haare gewaschen hast und jetzt ein kleines, ähm … purpurrotes Problem hast. Wenn du uns einen Moment deiner kostbaren Zeit schenken würdest, wären wir unter Umständen in der Lage, dir zu helfen. Aber falls wir lieber wieder gehen sollen …«
Keine Sekunde später erwachte die Gegensprechanlage hinter dem Empfang zum Leben und Viviennes Stimmte hallte dumpf durch die Lobby.
»Reginald? Würden Sie die beiden bitte nach oben schicken? «
Reginald blinzelte verblüfft, brauchte einen Moment, bis er sich so weit gesammelt hatte, dass er ihr antworten konnte, und deutete dann auf den Fahrstuhl.
»Zwanzigster Stock«, raunte er, ein aufrichtig bewunderndes Leuchten in den Augen.
Vivienne erwartete uns im Garten, genauer gesagt, auf ihrer riesigen, den Central Park überblickenden Dachterrasse, und war von Kopf bis Fuß in feinstes Frottee gehüllt. Ihre Haut wirkte gut durchfeuchtet, ihre Fingerkuppen waren aufgeweicht und schrumpelig – alles Indizien dafür, dass sie den Tag bereits mit ausgiebigem Duschen und Baden verbracht hatte –, und ihre Augen waren vom vielen Weinen verquollen.
Gesicht, Hände und Unterarme und ein paar vorwitzig unter ihrem Handtuchturban hervorschauende Haarsträhnen leuchteten in kräftigem, königlichem Purpurrot.
Sie sah richtig gut aus. Ihre Haut hatte die Farbe gleichmäßig angenommen und stand jetzt in einem fantastischen Kontrast zu ihren blauen Augen. Vivienne verdankte ihren Coolnessfaktor einem Moderatorinnenjob bei einem bekannten Musiksender – nach dem bewährten Schema: nett anzusehende VJane interviewt angesagte Bands und Solokünstler. Ihre Gesichtszüge waren so aristokratisch wie ihr soziales Netzwerk, und obwohl mir ihr Style immer zu mainstreamig gewesen war, verlieh ihr der purpurrote Teint jetzt eine gewisse avantgardistische Szenetauglichkeit.
»Warum siehst du so normal aus, Hunter?«, rief sie empört, als Jen und ich auf die sonnenbeschienene Terrasse traten. Ich hörte, wie sich das Hausmädchen, das uns durch das riesige, mehrere Etagen umfassende Apartment hierhergeführt hatte, eilig zurückzog.
»Was meinst du mit normal?«, fragte ich.
» Nicht rot! «
Ich hob meine Hände, die immer noch von meiner kurzen, aber intensiven Erfahrung mit PooSham zeugten.
»Ach ja, stimmt …« Sie runzelte die purpurrote Stirn, als müsste sie sich durch einen alkoholbedingten Gedächtnisnebel kämpfen, um sich an den gestrigen Abend zu erinnern. »Ich hab dich auf der Party gefragt, was mit deinen Händen passiert ist.«
»Genau«, bestätigte ich und fragte mich, worauf sie eigentlich hinauswollte.
»Hunter! Du hattest diesen Albtraum schon an den Händen,
als wir uns gestern Abend gesehen haben. Warum hast du mich nicht gewarnt ?«
Ich öffnete den Mund, setzte zu einer Antwort an und klappte ihn wieder zu. Gute Frage. Vermutlich hatte ich mir zu viele Sorgen darum gemacht, genau wie Mandy in Geiselhaft genommen zu werden, als dass ich Zeit gehabt hätte, eine Horde Blaublütler vor purpurroten Skalps zu bewahren (offen gestanden hatte ich noch nicht einmal ansatzweise darüber nachgedacht, jemanden zu warnen).
»Na ja, weißt du, das war alles ein bisschen kompliziert gestern Abend, und …«
»Wir waren quasi undercover auf der Party«, kam Jen mir zu Hilfe. »Wir haben versucht, herauszufinden, wer hinter dem Ganzen steckt.«
»Undercover?« Vivienne zog eine purpurrote Augenbraue nach oben. »Verdammt noch mal, wovon redest du? Und wer bist du überhaupt?«
»Wir haben uns neulich …«
»Ich weiß , dass wir uns neulich auf der Coolnessprobe begegnet sind, aber woher kommst du? Und warum passieren, seit du aufgetaucht bist, auf einmal lauter seltsame Dinge?«
Viviennes mit purpurroter Empörung hervorgestoßene Worte ließen mich aufhorchen. Seit ich Jen kannte, passierten tatsächlich ständig seltsame Dinge – der Gedanke war mir selbst auch schon ein paarmal
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