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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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und die anderen Kritiker ihr verrieten, ob sie einen solventen Mieter hatte. Als Raymond von Lindy’s zurückkam, voller Quarkkuchen und Reue, fand er seinen schäbigen Koffer vor der Tür – so rücksichtsvoll war die Dame immerhin. Er mietete sich in einem Hotel an der gleichen Straße ein.
    Er lag im Unterzeug auf dem Bett und dachte eben an seinen alten Army-45er, als die 60-Watt-Birne der Deckenlampe wie eine Kerze im Wind ausging. Raymond spürte förmlich den Windhauch, der die Haare an seinen Waden bewegte. Sein Gehirn forderte ihn wild auf, sich zu fürchten. Doch er war ruhig, sogar erwartungsvoll – als sich plötzlich am Fußende des Bettes ein neues Licht materialisierte und langsam die vertrauten rundlichen Formen annahm.
    »Mama!« rief Raymond Schiff.
    »Raymond!« sagte der Geist seiner Mutter. »Schau dich an! Gerade bin ich zwei Monate fort, und schon liegst du nackt in zugigen Hotelzimmern!«
    »Mama«, sagte Raymond mit zitternder Stimme und richtete sich auf. »Bist du’s wirklich?«
    »Wer sonst?« antwortete das Gespenst achselzuckend. »Hör zu, wir müssen uns beeilen, dies ist ein Ferngespräch. Man hat mich nur kommen lassen, weil du mich so dringend brauchst.«
    »Ach, Mama!« ächzte Raymond mit einem Schluchzen in der Stimme. »Und wie ich dich brauche! Die Lage ist unbeschreiblich mies! Die Show ist abgesetzt – nach der ersten Vorstellung!«
    Die körperlose Erscheinung bewies eine gewisse erdverbundene Nüchternheit. »Na schön, dann ist sie also abgesetzt. Du bekommst eine andere Show, mach dir keine Sorgen. Du hast immer gute Ideen gehabt, Raymond, schon seit deiner Kindheit.«
    »Ideen, Ideen!« stöhnte Raymond. »Wer will die jetzt noch hören? Die japanischen Ringer, die ich ins Land geholt habe – durchgefallen! Der italienische Film mit den, Gladiatoren – ein Minusgeschäft! Das Musical – ein Reinfall erster Güte! Ich bin geliefert, Mama, es ist aus mit mir!«
    Sie hob einen gespenstischen Finger. »Was habe ich dir immer gesagt, Raymond? Habe ich dir nicht immer gepredigt, ich würde mich um dich kümmern? Wenn es um ein paar lumpige Dollar geht …«
    »Du kannst mir nicht mehr helfen, Mama!«
    »Heraus damit! Heraus damit!« sagte sie und schlug sich vor die Brust. »Was würde eine Mutter nicht für ihren Sohn tun? Tot oder lebendig, das macht keinen Unterschied!«
    Tränen glitten über Raymonds Wangen. Plötzlich kniff er die Augen zusammen, und sein Blick belebte sich. Die Idee, die ihm gerade gekommen war, war so zündend, daß sie ihn beinahe blendete.
    »Mama!« sagte er. »Würdest du deine Vorstellung wiederholen? Könntest du noch einmal zur Erde zurückkommen?«
    »Na ja, vielleicht. Vielleicht läßt man mich noch einmal her, wenn du mich wirklich brauchst.«
    »Wirklich, Mama, wirklich?«
    »Wenn es so wichtig ist, schön. Ich komme!«
    »Könntest du zu einer bestimmten Zeit einen bestimmten Ort aufsuchen?«
    »Warum nicht?« fragte das Gespenst und hob die durchscheinenden Schultern. »Bin ich nicht auch in dieses schmutzige Hotelzimmer gekommen? Sag mir, wo du mich haben willst, dann komme ich.«
    Hastig öffnete Raymond einen Taschenkalender.
    »Könntest du in einem Theater erscheinen, Mama? Am Abend des, sagen wir, des 10. Oktober. Um neun Uhr abends?«
    »Weshalb denn?«
    »Zu einer Show«, flüsterte Raymond in entzückter Vorfreude. »Eine Show – mit dir als Star!«
    »Raymond! Raymond!« sagte seine Mutter tadelnd. »Deine alte Mutter willst du als Bauchtänzerin verkaufen? Wer würde Geld bezahlen, um mich zu sehen?«
    »Viele tausend Leute, Mama! Viele tausend. Das wird ein tolles Spektakel! Etwas, das noch nie auf die Bühne gebracht wurde. Ein echtes Gespenst!«
    Er wartete atemlos auf die Reaktion des schwankenden Bildes.
    »Na schön«, sagte seine Mutter seufzend. »Ich habe dir ja gesagt, daß ich mich um dich kümmern würde. Wenn du das möchtest – schön, dann tu ich’s. Aber eine Bedingung habe ich!« Wieder wurde der Finger gehoben. »Die Sache muß anständig ablaufen, kapiert? Keine Nacktheiten!«
    »Ich schwör’s!« sagte Raymond Schiff aufgeregt.
    Natürlich hielt Sid Salmon ihn für verrückt, als Raymond das geplante Unternehmen darlegte; ein einmaliges Auftreten in einem großen Haus, etwa im Madison Square Garden, in der Carnegie Hall oder im Winter Garden, fünf Dollar Eintritt, zehn und zwanzig Dollar für Leute, die sich den Geist seiner Mutter genauer ansehen wollten. Raymond verlangte von Sid nicht, daß

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