Cop
das Ians Mutter ihm und Debbie zur Hochzeit geschenkt hatte, bevor sie zwei Jahre später an Lungenkrebs gestorben ist. Alle diese Dinge haben eine Geschichte, aber davon hat Bill Finch natürlich keine Ahnung. Für ihn existieren sie erst, seitdem er den Schlüssel für die Haustür in die Hand gedrückt bekommen hat.
Nach Maggies Entführung war Ian lange Zeit wie abwesend. Er lebte wie in einem seltsamen Nebel vor sich hin. Als Debbie ihn dann aufforderte auszuziehen, wurden nur wenige Worte gewechselt. Innerlich hatte er sich wohl schon längst verabschiedet. Er blickte nicht mal vom Fernseher auf, wo gerade ein Werbespot für ein neues Toilettenpapier lief.
»Ich will, dass du ausziehst.«
Ein paar Sekunden Stille. Dann: »Okay.«
»Okay?«
Er nickte.
»Du regst dich gar nicht auf? Du wehrst dich nicht mal?«
Ein Kopfschütteln. »Nein.«
»Willst du wissen, warum?«
»Nein.«
»Ich schlafe mit Bill Finch.«
»Ich weiß.«
Debbie rührte sich nicht, und Ian drehte sich nicht zu ihr um, obwohl er spürte, dass sie immer noch da war und ihn ansah. Erst nach einiger Zeit sagte sie: »Na gut.« Und ging.
Die folgende Nacht verbrachte er bei Diego und Cordelia auf der Couch.
Eine Woche später mietete er sich einen Kleinlaster bei Paulson’s U-Haul, holte den zweiten Fernseher, ein paar Bücher und Regale, das Sofa aus der Garage, Maggies Bett und seine Kleidung ab und schaffte alles in sein neues Apartment. Er hätte sich auch ein Haus leisten können, aber wozu? Häuser waren was für Familien, für Menschen, deren Zukunft größer wurde. Seine Zukunft schrumpfte nur noch.
Die ersten paar Wochen waren seltsam, er konnte kaum schlafen. Nein, er vermisste Debbie nicht, nicht wirklich – er war es einfach nicht gewöhnt, allein im Bett zu liegen. Doch schon bald begann ihm die Einsamkeit zu gefallen. Sein Körper merkte, dass er die ganze Matratze für sich hatte. Eine Zeit lang wachte er noch mitten in der Nacht auf und rief Debbies Namen, aber das ging irgendwann auch vorbei. Irgendwann hatte er kapiert, dass sie nicht bloß kurz ins Bad gegangen war.
Ian klopft an die Haustür.
Während er wartet, kratzt er sich oben am Kopf, wo ihm allmählich das blonde Haar ausgeht, und wischt sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. Es ist immer noch höllisch heiß.
Debbie öffnet die Tür. Sie trägt beigefarbene Shorts und ein weißes Shirt, ihre Arbeitskleidung – auf der rechten Brust prangt in kursiver Schrift der Aufdruck PINK’S SALON . Anscheinend ist sie eben erst heimgekommen. Debbie leitet den Salon für Vickie Dodd; ohne Vickie säßen die Dodds wahrscheinlich längst auf der Straße, denn mit Carney, Vickies Bruder, ist rein gar nichts anzufangen. Bei Ians Anblick runzelt Debbie die Stirn, nur ganz kurz, für einen Sekundenbruchteil, dann weicht das Stirnrunzeln einem höflichen Lächeln. Doch Ian weiß, was davon ehrlich ist und was aufgesetzt, und er weiß auch, warum. Für Debbie ist er ein wandelndes Andenken an den schlimmsten Verlust ihres Lebens, er kann für sie nichts anderes sein, dafür sah ihm ihre Tochter viel zu ähnlich. Sieben Jahre lang hat sie versucht, Maggie zu vergessen, zu begraben, immer und immer wieder zu begraben. Ian gehört zu einem Teil ihrer Vergangenheit, den sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis streichen würde.
»Ian.«
»Debbie.«
»Ist etwas passiert?«
»Hast du’s schon von Bill oder Sheriff Sizemore gehört?«
»Nein. Was denn?«
»Kann ich kurz reinkommen?«
»Was ist denn los? Ist irgendwas mit Bill?«
»Nein, Bill geht’s gut. Ich dachte nur, er hätte dich vielleicht angerufen.«
»Angerufen weshalb?«
»Du solltest dich lieber setzen.«
»Um Himmels willen, was ist denn los?«
Ian wartet stumm, das Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske geglättet, während sie ihn forschend anblickt.
Bis sie endlich zur Seite tritt, um ihn hereinzulassen.
Sie setzt sich auf die Couch und starrt ihn von unten herauf an. Ihre Schultern wirken verspannt, die Sehnen an ihrem Hals treten hervor, ihre Hände umkrallen die Knie. Mit diesen Händen hat sie ihn früher berührt, gestreichelt. Aber das ist lange her. Ian weiß nicht mal mehr, wie es sich angefühlt hat.
»Was ist los?«, fragt sie noch einmal.
»Es geht um Maggie.«
Debbie seufzt. Sämtliche Anspannung weicht aus ihrem Körper, sie sinkt in sich zusammen, in ihre übliche nachlässige Haltung. »Sie haben die Leiche gefunden.«
Wie erleichtert sie klingt! Das »Gott sei Dank«
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