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Cop

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Titel: Cop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Jahn
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von der Innenseite des Oberschenkels bis zum Knie. Er drückt das Beil nicht hinunter, nur dessen eigenes Gewicht lastet auf der scharfen Kante. Deshalb bleibt auf der Haut bloß eine feine, rosa Linie zurück.
    »Weißt du«, sagt Ian, »eigentlich ist es ziemlich egal, was du weißt oder nicht weißt. Viel wichtiger ist, was ich denke, dass du weißt. Verstehst du? Das ist das Entscheidende, vor allem für dich. Schon möglich, dass du die Wahrheit sagst, ich kann es nicht ausschließen. Aber ich glaube dir nicht, und das ist das Entscheidende – wie gesagt, für dich. Denn ich werde dich Stück für Stück auseinandernehmen, bis ich bekomme, was ich will. Bis ich alles bekomme, was du in deinem verdammten Dickschädel versteckst. Verstanden?«
    Donald leckt sich über die trockenen, aufgesprungenen Lippen und schaut wieder von dem Beil zu Ian. Ian erwidert seinen Blick. Offensichtlich versucht Donald, die Lage einzuschätzen, um abzuwägen, was er als Nächstes sagen soll. Hoffentlich sagt er das Richtige. Es wäre besser so, für Donald, aber auch für ihn selbst.
    Doch stattdessen sagt er: »Und was, wenn ich dir genauso wenig glaube? Wenn ich glaube, dass du bloß das Maul aufreißt? Und wenn mich das einfach nicht beeindruckt?«
    »Du solltest mich nicht auf die Probe stellen.«
    »Schwachsinn. Du hast doch gar nicht die Eier da…«
    Ian schlägt das Beil in den Boden. Als er loslässt, bleibt es stecken, schief ins Holz der Unterlage gerammt.
    Er beobachtet Donalds Gesicht. Zuerst scheint er nicht zu begreifen, was geschehen ist – bis er an sich hinabblickt und die Klinge zwischen seinem rechten Fuß und den beiden kleinsten Zehen stecken sieht. Die abgetrennten Zehen liegen einzeln auf dem grünen Teppich. Sie erinnern an Weintrauben, die einige Monate lang unter der Couch gelegen haben, an verschrumpelte, alte gelbliche Rosinen. Erst jetzt beginnt Blut auszutreten.
    Donald atmet scharf ein, ein merkwürdiges Schnaufen. Er schreit nicht, doch das Luftholen fällt ihm zunehmend schwer. Kurze Stöhnlaute dringen ihm aus der Kehle, während er ungläubig auf seinen Fuß starrt.
    »Das kannst du doch nicht machen!«
    »Was meinst du?«
    »Du hast mir die Zehen abgehackt!«
    »Eigentlich wollte ich nur den kleinen Zeh erwischen. Aber so ein Beil ist eben kein Präzisionsinstrument.«
    »Mach … mach sie wieder dran! Das kannst du doch nicht machen. Du bist ein Bulle! «
    »Siehst du, genau diese Art zu denken wird dich heute in Schwierigkeiten bringen. Du solltest mir lieber glauben, dass ich alles tun kann, was ich will. Dass ich alles tun werde. «
    »Aber ich weiß …« Donald schließt die Augen, atmet ein und aus.
    Ian betrachtet ihn. Er wundert sich, dass er gar nichts empfindet. Es gab Zeiten in seinem Leben, da konnte er kaum zuschauen, wenn ein alter Mann mit Gehwagen einen Fußweg entlangschlich. Sofort sah er ihn vor sich, wie er einsam und allein, umgeben nur von Kakerlaken, in einem verdreckten Schnellrestaurant seine Drei-Dollar-Suppe löffelte, das einzige Abendessen, das er sich mit seiner kleinen Rente leisten konnte. Sofort dachte er an die Bilder seiner toten Frau, die sicher überall in seinem winzigen, natürlich halb verfallenen Haus herumstanden, an sein einsames Bett, an die Abende, an denen er schlafen ging, ohne zu wissen, ob er am nächsten Morgen wieder aufwachen würde. An seine verzweifelte Hoffnung, eben das nicht mehr zu tun: aufzuwachen. Eine einzige, von Leberflecken übersäte Hand am Griff eines Gehwagens – mehr brauchte es nicht, um ihm das Herz zu brechen. Und jetzt sitzt er hier und sieht zu, wie sich die Augen eines Menschen mit Tränen füllen, aus Angst vor ihm, und dennoch spürt er nichts als Verachtung. Nichts als Verachtung und Hass. Dieser Mann weiß, wo seine Tochter ist, und er weigert sich, es ihm zu sagen.
    Bald wird er es ihm sagen.
    Ian bückt sich, sammelt die Zehen auf, wickelt sie einzeln in kleine Streifen Küchenrolle und lässt sie in eine Schüssel fallen, die er vorhin mit dem Inhalt mehrerer Eiswürfelschalen gefüllt hat. Als er das Beil aus dem Boden zieht, tropft Blut von der Klinge.
    Sehr bald wird er es ihm sagen.
    »Je eher du dein Maul aufmachst«, sagt er, »je eher du mir hilfst, zurückzubekommen, was ich verloren habe, desto früher höre ich auf, an dir herumzuschnippeln. Und je eher du im Krankenhaus bist, desto besser stehen deine Chancen, zurückzubekommen, was du verloren hast.«
    »Fick dich.«
    »Ganz wie du willst«, erwidert

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