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Cop

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Titel: Cop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Jahn
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Frau telefoniert mit der Polizei, sie schreit immer wieder ins Handy, es habe hier einen Mord gegeben. Die blonde Chevy-Fahrerin, die er beinahe erschossen hätte, deutet mit dem Finger auf ihn, und einige der Leute drehen sich nach ihm um. Henry denkt an das Leben, das er in Bulls Mouth zurücklassen musste, an die paar Habseligkeiten, die sie mitnehmen konnten. Alles im Dodge Ram. Alles weg. Egal. Schau nicht zurück. Die Vergangenheit ist vergangen. Was du nicht retten kannst, vergisst du am besten gleich.
    Magensaft in seiner Kehle. Er schluckt die saure Soße hinunter.
    »Wir gehen«, sagt er. »Wir drehen uns jetzt um und gehen.«
    »Was?«
    »Wir drehen uns ganz ruhig um und gehen.«
    Niemand folgt ihnen.
    Sie marschieren eine Schotterstraße entlang. Henry hält Ausschau nach einem Wagen, vielleicht einem Pick-up mit den Schlüsseln im Zündschloss. Fünfmal hat er es schon versucht, fünfmal war die Tür abgeschlossen. Langsam wird er nervös. Er will sich endlich hinters Steuer setzen und abhauen, bevor die Bullen anrollen. Oder wenigstens bevor sie eine Straßensperre errichten können. Sie müssen raus aus Texas, doch bis New Mexico sind es noch ein paar Stunden. Sollte er den Texanern in die Hände fallen, muss er sich keine Sorgen machen, den Rest seines Lebens hinter Gittern zu verbringen. Auf Polizistenmörder wartet hier die Todesspritze.
    »Mein Fuß tut weh.«
    »Ich weiß, Bee.«
    Am linken Straßenrand taucht eine Scheune auf, die kurz vor dem Einsturz zu stehen scheint. Aus dem Tor ragt die gewaltige Ladefläche eines durchgerosteten altertümlichen Chevy-Pick-ups hervor.
    Henry deutet mit dem Kinn auf den Wagen. »Wie wär’s mit dem da?«
    »Das Riesending?«
    »Wir können jetzt nicht wählerisch sein, Bee. Wir müssen nehmen, was wir kriegen.«
    Er schaut sich um. Nichts rührt sich, nichts ist zu hören, bis auf das Heulen der Sirenen in der Ferne, das langsam lauter wird. Sie haben keine Zeit zu verlieren.
    Eine halbe Minute später stehen sie vor der Scheune.
    »Schau nach«, meint Henry.
    Beatrice hinkt zum Pick-up und zieht am Türgriff. Nicht abgesperrt. Rostspäne rieseln auf den Boden, die Scharniere knarren. Sie beugt sich vor. »Der Schlüssel steckt!«
    Henry dreht den Zündschlüssel herum. Ein Ächzen aus der Motorhaube. Vorsichtig drückt er aufs Gaspedal. Der Auspuff spuckt schwarzen Rauch, der Motor springt an. Schnell legt er den Gang ein. Der Chevy holpert aus der Scheune auf die Schotterstraße. Ein Seitenblick auf Beatrice – sie hat Sarah an ihre Schulter gebettet und streicht ihr über die blonden Haare, kämmt sie mit den Fingern. Als sie der Kleinen mit dem Rocksaum das Blut aus dem Gesicht wischt, sieht Henry ihre verschwitzte weiße Baumwollunterhose.
    »Die wird schon wieder«, meint er.
    »Du darfst sie nicht schlagen«, erwidert Bee.
    Sie fahren Richtung Süden, eine namenlose Straße entlang. Nach einer Weile erreichen sie eine Zufahrt zum Interstate 10. Henry zögert nicht, und bald hat er die Schnellstraße im Blick. Auf dem Seitenstreifen stehen mehrere Wagen der örtlichen Polizei und ein SUV des Sheriff’s Department, alle mit eingeschaltetem Blaulicht. An denen kommt er nie im Leben vorbei. Das kann er gar nicht schaffen. Er hätte … Ja, was hätte er tun sollen? Spätestens in einer halben Stunde wird es in Sierra Blanca von Polizei wimmeln. Bald wird die komplette Stadt wissen, was hier geschehen ist. Er hat sein ganzes Leben in einer Kleinstadt verbracht, er weiß, wie schnell so etwas geht. Deshalb muss er hier weg, sofort, und wo soll er schon hin, wenn nicht zu seinem großen Bruder? Ron ist der Einzige, auf den er sich jetzt noch verlassen kann.
    Deshalb fährt er weiter, auf den Interstate, obwohl er sieht, dass die rechte Spur vollständig abgeriegelt ist. Blinkende Straßensperren und eine mittelgroße Autoschlange vor einem Hilfssheriff, der die Fahrer einzeln durchwinkt.
    Hier wird es also enden, hier, in einem Rotzfleck von einer Stadt irgendwo unter der erbarmungslosen Sonne von West Texas. Nach allem, was er durchgemacht hat. Henry setzt den Blinker und wechselt auf die linke Spur. Gleichzeitig fummelt er seine Magentabletten aus der Hemdtasche, drückt sich eine davon in den Mund und kaut.
    Noch fünf Autos bis zur Sperre. Jeder Fahrer wird ausgefragt, bevor er weiterdarf.
    Hier wird es also enden.
    Vorsichtig drückt Henry aufs Gaspedal. Hinter ihm liegt der Schauplatz seines jüngsten Verbrechens. Seine Brust ist wie eingeschnürt,

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