Cop
doch je weiter sie sich vom Tatort entfernen, desto mehr lockert sich der eiserne Griff um sein Herz. Er hat es geschafft. Er kann es kaum fassen, aber er hat es tatsächlich geschafft.
»Wohin geht die Reise?«
»Nach Kalifornien, zu meinem Bruder.«
»Grund der Reise?«
»Er gibt uns seinen alten Wagen. Ist ihm nicht mehr gut genug.«
»Und da nehmen Sie die ganze Familie mit?«
»Warum nicht? Man kommt ja nicht alle Tage nach Kalifornien.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Houston.«
»Sie leben in Houston?«
»Leben wäre übertrieben.«
»Was für einen Wagen wollen Sie denn abholen?«
»Einen ’56er Buick Special. Will ich wieder herrichten.«
»Ist wohl Ihr Hobby?«
»Irgendwie muss man sich ja beschäftigen.«
»Na dann, viel Erfolg.«
»Danke, Sir.«
Einmal gelächelt, einmal scherzhaft salutiert, das war’s. Er musste nicht mal den Führerschein zeigen. Vielleicht ist noch keiner da, der was zu sagen hat, oder sie wollten nur schauen, ob sich irgendwer verdächtig benimmt, und wer nicht auffällt, kann weiterfahren. Egal, Hauptsache, er hat es geschafft.
Vor ihnen liegt die endlose graue Straße. Bis auf das Rattern des Pick-ups ist es still. Beatrice schaut aus dem Fenster, die schlafende Sarah im Arm. Ihr Mund ist ein wenig geöffnet. Henry beobachtet ihre Spiegelung in der Windschutzscheibe, er will wissen, was sie denkt. Doch ihr Gesicht wirkt ausdruckslos, ihre Augen scheinen tot. Wie er dieses Schweigen hasst. Er tut das alles doch nur für sie. Und er will sie auf keinen Fall deswegen verlieren.
»Was denkst du, Bee?«
»Nichts.« Ein einziges Wort, und dabei schaut sie ihn nicht mal an, sondern starrt weiter auf die leere Landschaft.
»Nichts?«
»Nichts.«
»Irgendwas musst du doch denken.«
Keine Antwort.
Er leckt sich über die Lippen. »Ich liebe dich. Das weißt du doch?«
»Ja.«
»Ich weiß, die letzten Tage waren hart für dich. Da sind schlimme Dinge passiert.«
»Sie sind nicht einfach so passiert. Du hast dafür gesorgt, dass sie passieren.«
»Weil ich musste. Für dich.«
Endlich sieht sie ihn an. Sie hat Tränen in den Augen. »Du hättest aber nicht sollen!«
»Bee, ich …«
Sie schüttelt den Kopf, mit aller Kraft, ohne etwas zu sagen. Tränen rollen über ihre Wangen. »Du hättest nicht sollen.«
»Ich hatte keine Wahl.«
»Man hat immer eine Wahl.«
»Wärst du lieber ins Gefängnis gegangen, Bee?«
Sie wischt sich über die Augen. »Warum sollte ich denn ins Gefängnis gehen?«
»Hast du denn gar keine Idee?«
»Weiß nicht.«
Er seufzt. »Wegen Sarah. Wegen Sarah mussten wir von zu Hause abhauen. Wegen Sarah müssen wir zu meinem Bruder. Wegen Sarah mussten wir den Pick-up loswerden. Wegen Sarah mussten Flint und seine Frau sterben. Tu nicht so, als würdest du das nicht verstehen, als würde dich das alles nichts angehen. Das ist nicht fair, und das weißt du ganz genau.«
»Henry, ich …«
»Du weißt, was mit den anderen Sarahs passiert ist. Du weißt, was wir getan haben, wir beide zusammen, nicht nur ich allein. Ich wollte dich glücklich machen, und du hast nie etwas dagegen gesagt. Du hast gewusst, was ich tue, und du wolltest es so, deshalb hab ich’s getan. Also tu jetzt nicht so, als hättest du nichts damit zu tun.«
»Aber ich … ich wollte einfach …«
»Ich weiß. Deshalb hab ich’s ja getan.«
»Aber warum hast du den netten Mann und die nette Frau und den Polizisten …«
»Weil es nicht anders ging. Weil wir wegen Sarah ziemlich in der Klemme stecken.«
»Aber du … du hast sie umgebracht …«
»Ja. Um die Familie zusammenzuhalten.«
Bee schnieft. Eine Zeit lang sagt sie nichts, bis sie sich die Lippen befeuchtet und ihn mit großen, hoffnungsvollen Augen anschaut. »Es ging wirklich nicht anders?«
Henry schüttelt den Kopf. »Ich konnte doch nicht zulassen, dass sie unsere Familie zerstören.«
»Sie wollten uns Sarah wegnehmen, oder?«
»Genau. Und das konnte ich nicht zulassen.«
»Es gibt nichts Wichtigeres als die Familie.«
»Genau.«
»Und du wolltest Sarah gestern gar nicht auf den Kopf treten?«
»Ich war wütend. Aber ich könnte ihr niemals wehtun. Nicht mit Absicht.«
»Weil sie zur Familie gehört.«
»Genau.«
»Und weil es nichts Wichtigeres gibt als die Familie.«
Er nickt.
»Ich liebe dich auch, Henry.«
»Ich weiß, Bee, ich weiß. Und jetzt wisch dir mal über die Augen. Ich kann es nicht mit ansehen, wenn du heulst.«
Ian steht reglos unter der Dusche und genießt das heiße
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