Copyworld: Roman (German Edition)
Herzschlag zu übertönen.
“Trampel nicht wie ein geiler
Ochse!” Der Exarch mustert ihn
unwillig. Mit jedem Wort des Ersten Exarchen rutscht Hyazinth das Herz tiefer in die Hose, vergessen ist
jeder respektlose Gedanke, als sei er vor hundert Jahren gedacht. Zum Glück ist
er mit Korund Stein allein, es gibt keine Zeugen für die deftige Maßregelung.
Trotzdem will sich die Verkrampfung nicht lösen, im Gegenteil, sein Gang wird
noch staksiger, als er versucht, leicht und unbekümmert zu wirken – zu tief sitzt
jene geheimnisvolle Furcht vor dem berühmtesten Menschen der DTEA in seiner
Seele. Wie recht der Meister doch hat: Der Herrscher ist dem Winde gleich, der
gewöhnliche Mann gleicht dem Gras. Bläst der Wind übers Gras, dann beugt es
sich… Oft, viel zu oft mußte Hyazinth sich beugen unter solchem Wind, ohne sich der Macht erwehren zu können,
die nicht nur den Verstand, sondern auch den Willen niederhält. Nie brächte er,
wie Holunder, die Dreistigkeit auf, grußlos an einem Lehrer vorbeizulaufen oder
Opal die Antwort auf eine Prüfungsfrage mit der Begründung zu verweigern, das
Problem sei ihm zu trivial. Immer war Hyazinth wie Gras, und auch jetzt bannt ihn diese rätselhafte Kraft, deren Natur
er nicht ergründen kann. Wäre ihm der Exarch entgegengetreten mit dem Prunk und der Erhabenheit eines jener
legendären Kalifen des alten Orients – Hyazinth hätte wohl weniger die Fassung
verloren, vermutlich, weil er insgeheim damit gerechnet hatte, einer prächtigen
Audienz gewürdigt zu werden, denn wem stünden Glanz und Pracht besser zu
Gesicht als dem Obersten Repräsentanten der DTEA? Die Erscheinung des
schmächtigen alten Mannes, der unwirsch den Blick hebt und ihn finster ansieht,
beeindruckt Hyazinth ungleich tiefer.
Korund Stein verzichtet auf alle
äußerliche Demonstration seiner Stellung. Beinahe wirkt das graue Faltengewand
etwas schäbig; an den Ellenbogen der weiten Ärmel glänzt das Gewebe, und
offenbar ist das Kleidungsstück viel zu groß. Erstaunlicherweise trägt der
Exarch überhaupt keinen Schmuck, nicht
einmal den silbernen Stirnreif mit dem haselnußgroßen Türkis, Symbol seiner
Würde, das seinen Kopf auf jeder Abbildung ziert. Träfe man den Obersten
Märtyrer in diesem Aufzug auf der Straße
– wohl kaum jemand würde in dem dürren Greis den größten Mann der Gegenwart
erkennen, denkt Hyazinth, und ihm fällt ein Wort des großen Meisters ein:
herrscher über alle wässer sind
strom und meer
nur daß sie tiefer sich stellen
tiefer denn alle wässer sich
stellen
erhebt sie fürstlich über alle
wässer
So schön wie Laudse hat Kong-Qiu es in keiner seiner
Schriften gesagt, überlegt Hyazinth. Zwar verlangt auch der Urvater der
Märtyrerlehre edle Gesinnung, fordert Liebe zum Menschen, Ehrlichkeit und
Pflichtbewußtsein, verabscheut Maßlosigkeit und Eigennutz, doch läßt er mit
keinem seiner Worte einen Zweifel daran, daß hohe Pflicht auch hohes Recht
bedeutet und geringe Aufgabe folglich das Recht mindert. Dieser Laudse jedoch
sagt etwas ganz anderes: Nur wer sich ganz und vorbehaltslos in den Dienst
seines Volkes stellt, kann große Fähigkeiten entfalten, nur wer aus Leistung
keinen Anspruch auf Bevorzugung herleitet, ist frei in der Seele, Gewaltiges zu
vollbringen.
Ob der Exarch Laudse gelesen hat? Natürlich! Hyazinth beißt sich vor Scham auf die
Unterlippe. Natürlich, Korund Stein kennt gewiß die Schriften aller großen
Denker. Daran zu zweifeln wäre geradezu lästerlich!
Dieser Gedanke gibt ihm Mut, aber
eine innere Stimme mahnt dennoch zur Vorsicht. Warum werden die Weisheiten
dieses Laudse nicht offiziell verkündet? Warum darf Opal seine Schüler nicht
lehren, daß Befähigung sich selbst Lohn genug ist, daß es doch unsagbares Glück
bedeutet, Gnade, Auserwähltsein: Mehr zu können als andere, über höhere
Schöpferkraft zu verfügen…
“Setz dich”, der Exarch zeigt auf den freien Stuhl vor seinem Pult.
Er starrt auf Hyazinths Brust und verzieht unmerklich den Mund.
“Du bist der erste, der zur
Audienz keinen Korund trägt”, stellt er lakonisch fest.
“Verzeih, Deva, ich…” Hyazinth
versagt die Stimme, und er bekommt feuchte Handflächen.
“Schweig!” befiehlt der
Exarch scharf. “Ich weiß ohnehin, daß
dich seit einiger Zeit aufsässige Gedanken plagen, also erspare es mir, sie
auch noch aus deinem Munde hören zu müssen.” Er erhebt sich gemächlich und
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