Copyworld: Roman (German Edition)
tritt
an die Panoramawand, schaut gedankenversunken auf Weltenstein hinab.
“Fürchtest du mich so wenig, daß
du diese Anspielung wagst?” fragt er ärgerlich, aber er wartet keine Antwort
ab, sondern spricht weiter: “Versuche nicht, dich herauszureden. Du trägst den
Stein nicht wegen deines Namens, sondern wegen des Doppelsinns, der sich darin
verbirgt… Noch nie habe ich so viele Leute mit einem Arrangement aus
Rosenquarz, Blätterserpentin, Eisenrose oder Margarit gesehen, bevor ich den
Namen der Zentralstadt ändern ließ. Und jetzt präsentierst du mir mit einer
Dreistigkeit ohnegleichen einen Hyazinth!”
“Ich schwöre dir Deva, ich weiß
nicht, wovon du sprichst!” Eine heiße Woge der Angst peitscht über Hyazinth
hinweg, er hat auf einmal ein Gefühl als perle Kohlensäure durch seine Adern.
In seiner Hilflosigkeit schreit er immer wieder: “Ich schwöre, Deva, ich
schwöre!”
Korund Stein dreht sich ruckartig
um und mustert ihn scharf. “Du willst mir weismachen, du wüßtest nichts von dem
stillen Protest gegen meine Anweisung, du hättest nie bemerkt, daß besinnlerische
Elemente im Steinpark eine Stele aus Rosenquarz errichtet haben, die mit
Trauben aller möglichen Minerale verziert ist, die Blumen- oder Pflanzennamen
tragen?”
“Nein, Deva…”, Hyazinth fröstelt
es. Auflehnung, Protest – bei allen Weisheiten der Lehre, was behauptet der
Exarch da? Er faßt allmählich wieder
Mut, denn seine Treue zu beweisen, sollte keine Schwierigkeit sein.
“Man hat dich falsch informiert,
Deva”, sagt er entschlossen. “Gestern erst war ich mit Federchen im Steinpark,
und ich habe nirgends so eine scheußliche Stele gesehen!”
“Idiot!” Der Erste Exarch schüttelt den Kopf, scheint aber erstaunlich
schnell besänftigt. “Du bist wohl wirklich so einfältig wie man mir berichtete…
meinst du denn, solch eine Untat würden wir tatenlos hinnehmen? Natürlich ist
dieses Machwerk sofort wieder entfernt worden.”
“Natürlich, Deva”, wiederholt
Hyazinth eifrig
“Idiot, plappere mir nicht alles
nach”, weist Korund ihn mild zurecht, “oder soll ich dich verpflichten, in
Zukunft einen Astrakanit zu tragen?”
Hyazinth zuckt zusammen. Man
nennt dieses Mineral auch Blödit.
“Nein, nein, keine Sorge.” Korund
Stein dreht sich wieder um und schaut auf Weltenstein hinab. Das düstere Licht
der Roten Wolke läßt ihn noch ausgemergelter und hinfälliger erscheinen. “Du magst
mit einer besonderen Einfalt gesegnet sein, aber du bist nicht dumm. Wer wüßte
das besser als ich.” Er spricht leise wie für sich. “Deine Arglosigkeit ist der
Panzer, den ein Geist braucht, wenn er zu überwältigender Größe wächst. Doch
hättest du diesem Panzer trauen sollen, statt ihn zu früh abwerfen zu wollen.
Wie der feste Kokon einer Insektenpuppe schützt er die große Metamorphose
deiner Persönlichkeit. Was alles hatte ich vor mit dir! Nun ist es zu spät: Du
wolltest kein Kind mehr sein, bevor der Keim des Mannes aufging in dir – du
hast deine Unschuld abgelegt wie ein Kinderkleid, aber deine Schultern tragen
noch nicht die Rüstung aus Härte und Entschlossenheit, deren Schutz jeder
braucht, der in meiner Nähe sein und mit mir das Werk vollenden will.
Wer erst einmal zweifelte, ein
einziges Mal nur, der ist der süßen Verlockung auf ewig verfallen – der muß
immer wieder kosten von diesem mächtigen Gift, dessen Gewalt jede Idee mordet,
sei sie noch so großartig. Vielleicht kann ich dich noch retten, Hyazinth
Blume, denn in dir ist erst ein winziger Tropfen dieses todbringenden Elixiers,
das wie Rost am Eisen frißt, aus dem große Märtyrer gemacht werden.”
Ein leiser Summton unterbricht
Korund Stein.
“Ewige Liebe, Deva; Bewahrer,
Seher und Schöpfer! Es ist Zeit für das Morgenwort.”
Der alte Mann stützt sich mit
beiden Händen gegen die Panoramawand als wolle er ganz Weltenstein umfassen,
und seine Stimme klingt völlig verändert. Kraft und unbeugsamen Willen
verkündet sie auf einmal.
“Also sprach Kong-Qiu: Dienst du
deinen Eltern, dann kannst du ihnen auch in gebotener Zurückhaltung
widersprechen. Siehst du aber, daß sie nicht gewillt sind, dir zu folgen, dann
sei weiterhin ehrerbietig und widersetze dich nicht. Mühe dich für sie, ohne zu
murren!”
Hyazinth ist außerstande, dem
Morgenwort die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. Die Gedanken wirbeln in
seinem Kopf wie Staubschwaden durcheinander. Was meint der Exarch nur mit dem Gift des
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