Copyworld: Roman (German Edition)
des
Publikums ist es kaum zu hören.
Hyazinth starrt ihr fassungslos
hinterher, als sie sich geschwind durch das Menschengewühl drängt.
So ein Aas! schreit es in ihm. So
ein gottverdammtes Aas!
Nie in seinem Leben hat er besser
getanzt, er war wie trunken vor Glück, als das Mädchen unter seinen Berührungen
erschauerte, hat sich förmlich die Seele rausgerissen und allen ohne Scheu
gezeigt.
Steif und müde steht er inmitten
dutzender Tänzerinnen, die an seinem Trikot zerren, seine Hände greifen und –
einige ganz Verwegene – seinen Hintern streicheln. Als Federchen sich zirpend
auf seiner Schulter niederlassen will, schlägt er wütend nach der
Fadenschaumspinne. Die wirbelt erschrocken davon, mit ratlosem Pfeifen. Auch
die Mädchen zuckten verschreckt zurück ob dieser heftigen Geste, aber als sie
begreifen, daß sein Unmut einzig dem Tier galt, fallen sie erneut über ihn her.
Hyazinth bringt nicht die Kraft
auf, sie ebenso schroff abzuwehren wie Federchen. Alle Kraft ist aus ihm
gewichen und aller Wille.
Sie hat mit mir gespielt, sich
lustig über mich gemacht, wie ich besinnungslos vor Liebe um sie
herumgetrampelt bin, denkt er. Und ich blödes Schwein habe nichts gemerkt.
Plötzlich spürt er einen festen
Griff um seinen Oberarm.
“Komm, schnapp dir Federchen, und
dann hauen wir ab. Mich kotzt das hier alles schon lange an… nicht erst, seit
du mich vom Thron gekippt hast…”
Rhomega zieht ihn hinter sich her
und schiebt alle, die sich ihnen anschließen wollen, brüsk zur Seite. In der
anderen Hand hält er das zerschmolzene Ende des Silberkettchens, an dem
Federchen auf und nieder flattert und dabei drohend Funken zwischen ihren Lippen
sprühen läßt. Hyazinth ist viel zu verwirrt, um Rhomega Widerstand entgegen zu
setzen.
Während sie durch die dunklen
Straßen Szingolds laufen, redet Rhomega ununterbrochen, aber Hyazinth versteht
kaum mehr als die bloßen Worte, ist außerstande, sie zu Sätzen und Gedanken
zusammenzusetzen. Nicht einmal sich selbst vermag er aufzusammeln, all die
Millionen Stückchen, in die er sich zerrissen glaubt, und die in der Nacht
verstreut liegen.
Die Stimme des anderen, ihr
ungewohnter Klang, ist alles, was er bewußt wahrnimmt. Er wagt nicht, den Kopf
zu heben und Rhomega ins Gesicht zu schauen, aus Angst, alles könnte eine
weitere, furchtbare Täuschung sein, der letzte gemeine Schlag eines
heimtückischen Komplotts. Und doch würde er so gern die Augen des Mannes sehen,
der mitfühlend auf ihn einredet, in dessen Worten Trost und Verständnis
klingen.
“… jeder erlebt es irgendwann
einmal. Der eine wird immun, hat er die erste Infektion mit diesem tückischen
Leiden überstanden – ein anderer siecht dahin, unter ihrem chronischen Verlauf.
Jaja, die Liebe. Ich dachte immer, alles sei für dich nur ein Kampfritual,
hätte nie vermutet, daß es dich so übel erwischt hat… Aber, weißt du: Leute,
die es nicht wenigstens einmal erlebt haben, sind armselige und bedauernswerte
Kreaturen. Sie laufen immerzu im Kreis und preisen die Freiheit ihres engen
Lebenszirkels, nicht ahnend, daß man auch geradeaus gehen kann, einfach
geradeaus…”
Die letzten Sätze durchdrangen
den Nebel, der Hyazinths Denken umhüllt.
“Nein, sie sind glücklich – alles
Böse kommt aus der Liebe!”
Rhomega bleibt stehen und stellt
sich so, daß Hyazinth nicht seinem Blick ausweichen kann.
“Glaub mir: Ich weiß sehr gut,
was in dir vorgeht.” Die Bitterkeit in der Stimme weckt Hyazinth aus seinem
dumpfen Brüten.
“Und trotzdem behaupte ich, sie
sind arme Schweine, sie bilden sich ein, ihnen seien Flügel gewachsen, dank des
Zufalls, der dem Topf ihrer animalischen Existenz den passenden Deckel
zubilligte, und möglicherweise kreist dieser gedeckelte Topf tatsächlich
irgendwo über den Wolken in sanften Spiralen einer weichen Landung im Nichts
entgegen. Aber was kann der freie Flug ihnen denn bedeuten, wenn sie nie
abgestürzt sind? Oh, Hyazinth, Fliegen ist vor allem die Angst vor dem Abgrund,
die Gewißheit um den hohen Einsatz, den dieses Spiel fordert. Du jammerst, weil
der Start mißglückt ist, aber hast du schon mal überlegt, was nach einem Sturz
aus den Wolken von dir übrig geblieben wäre? Starten kann man hundert Mal, und
wenn man sich nicht gar so dämlich anstellt, überlebt man die Blessuren von
hundert fehlgeschlagenen Versuchen. Ich aber bin zweimal aus der Stratosphäre
abgestürzt, mein Freund. Ich weiß, wovon ich rede.”
“Quatsch! Du
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