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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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weiß.
    “Aber Tauphi ist keine Hexe.” Es
ist ein zaghafter Versuch, ihren Bruder zu weiteren Auskünften zu veranlassen.
    “Mach dir nichts vor. Sie liebt
dich nicht.” Wie Rhomega es sagt, klingt es nicht, als sei er davon felsenfest
überzeugt. Und da er sich plötzlich als einer entpuppte, dessen Konkurrenz   viel weniger zu fürchten ist als Hyazinth
bisher annahm, schöpft er trotzdem neue Hoffnung. Der andere muß es seinem
Gesicht angesehen haben. Er reicht Hyazinth die Hand und hilft ihm auf.
    “Ich will mich nicht
entschuldigen”, sagt er. “Aber es tut mir leid, daß es so weit kommen mußte.
Meine Schuld ist es nicht, auch nicht deine oder Tauphis. Überleg selbst, wem
wir das alles zu verdanken haben.”
    Hyazinth betastet seine
geschwollene Oberlippe und schweigt. Dann kichert er. Ihm wurde auf einmal
bewußt, daß er Rhomega haßte, als kein stichhaltiger Grund vorlag, und daß er
ihn jetzt irgendwie mag, obwohl er von ihm ein fürchterliches Ding in die
Fresse bekommen hat. Der Gedanke an Tauphi und daran, daß Rhomega ihr Bruder
ist, drängt alles andere in den Hintergrund. In Weltenstein bedeutet es nichts,
von Bruder oder Schwester zu reden – aber Hyazinth weiß längst, daß es in
Szingold noch Mütter, Väter, Großeltern und Geschwister gibt. Hier ist eben
alles anders. Aufregend anders. Fremdartig zwar, doch in einer Weise, die in
ihm Regungen weckt, von denen er nicht glauben mag, sie seien Rudimente der
animalischen Herkunft des Menschen. Aber vielleicht sind das alles Symptome
jener schrecklichen geistigen Entartung, von denen die Menschen durch das Opfer
der Märtyrer befreit werden sollen?!
    “Komm, ich will dir etwas
zeigen.”
    Rhomega zieht ihn zum Straßenrand
und winkt einem jener seltsamen Fahrzeuge, die in Szingold benutzt werden, weil
die gefilterte Luft innerhalb der Klimakuppel der wichtigen Substanzen
entbehrt, aus denen die Keimperlen in Gedankenschnelle alles wachsen lassen,
was ein Märtyrer in Weltenstein zum Leben braucht. Diese Transportmittel – man
nennt sie immer noch “Amigos” – gab es schon vor vielen Jahrhunderten. Ihr
simpler Mechanismus wird von synthetischen Muskeln angetrieben, das ist aus
energetischer Sicht nicht sonderlich effektiv, ihre Geschwindigkeit ist mit der
eines Airspiders keineswegs vergleichbar, der seine Antriebskraft aus den
Permaringen beziehen - exakt justierten, elektromagnetischen Feldern, deren
Trassen den Globus wie ein Spinnennetz überziehen. Und außerdem lösen sich die
Amigos nicht selbsttätig auf, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, stehen
nutzlos herum, ohne daß ihr materielles und energetisches Potential zur
Verfügung aller in die Atmosphäre abgegeben wird.
    Na gut, dafür braucht man in
Szingold keine Filterstopfen aus Kiemenkresse, dafür wachsen die kuriosesten
Pflanzen zwischen den Bauwerken, und in den Straßen tummelt sich Getier, das
Hyazinth nicht einmal von Abbildungen kannte. Aber lohnt diese exzentrische
Lebensweise wirklich den ungeheuren Verzicht auf Bequemlichkeit und
Zweckmäßigkeit?
    Der Amigo hält erst am Stadtrand,
unmittelbar vor einer der Schleusen in der Kuppel. Rhomega steigt aus und
entnimmt einem mit roten Warnlampen blinkenden Container zwei Flaschen. Aus
Glas. Das sind zwei Wörter, die Hyazinth auch erst in Szingold lernte: Flasche
und Glas. In Weltenstein gibt es wenig Glas. Das ist auch richtig so. Glas kann
zerbrechen, Folie nicht. Glas muß mühsam umgeschmolzen werden, Folie hingegen
wird einfach vergast, ihre Bestandteile sammeln sich im riesigen
atmosphärischen Reservoir und werden von den Keimperlen weiter- und
wiederverwendet. Viel vernünftiger. Aus Glas sind in Weltenstein nur
Panoramawände und Kunstwerke. Die muß man nicht wegwerfen.
    “Hier, trink das. Es schmeckt
nicht besonders, aber es ist nützlich.”
    Nach dem ersten Schluck glaubt Hyazinth,
sich übergeben zu müssen. Den zweiten quält er sich mit einer Grimasse höchster
Überwindung hinein, und den dritten trinkt er tapfer wie ein Held, als er
sieht, wie Rhomega das widerliche Zeug in einem Zug hinterkippt.
    “Sag nicht, das trinkst du jeden
Tag”, gurgelt Hyazinth, sich eine Hand vor den Mund haltend.
    “Nicht jeden, aber immer, wenn
ich in die Kalte Wüste fahre”, entgegnet Rhomega gleichmütig. “Das ist eine
Phosphor-Schwefel-Verbindung.”
    Hyazinth rülpst vor Schreck.
    “Sie schützt menschliche
Körperzellen wirkungsvoll vor hoher Strahlenbelastung. Harte Strahlung erzeugt
im Organismus

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