Coq 11
Krankenbett in der Hadassah-Klinik sogar Interviews geben konnte. Am meisten verblüffte, dass er den Feind mit keinem Wort kritisierte. Im Gegenteil. Palästinensische Kollegen, also U-Boot-Seeleute, hätten Schlange gestanden, um freiwillig Blut zu spenden, als sein Zustand während der Operation kritisch geworden sei.
Diese scheinbar nebensächliche Bemerkung verhalf der palästinensischen Seite genau im richtigen Moment zu einem enormen PR-Erfolg.
Die Welt hatte sich aber bereits gespalten. Amerikanische und britische Medien bezeichneten den Angriff auf Haifa als Israels 11. September und die U-1 Jerusalem als »Terroristen-U-Boot«. Mit Ausnahme von Litauen, Tschechien und Bulgarien, die sich der angloamerikanischen Linie anschlossen, sprach das übrige Europa polemisch von »Israels Pearl Harbor« und nannte die U-1 Jerusalem das »phänomenale Flaggschiff der palästinensischen Flotte«.
Die widersprüchlichen Ansichten in den Medien spiegelten die Verhältnisse in den Vereinten Nationen wider. Der Versuch der USA und Großbritanniens, die Attacke auf Haifa im UN-Sicherheitsrat als Terrorakt zu verurteilen, scheiterte an den drei Vetoländern Frankreich, Russland und China.
Im Gegenzug legten die USA und Großbritannien ihr Veto gegen eine Resolution ein, die einen Waffenstillstand und Verhandlungen forderte. Damit herrschte ein Patt.
Dann versetzte ein weiteres weltbewegendes Ereignis die USA und Großbritannien in Bedrängnis. Die Bevölkerung des isolierten Gazastreifens war nämlich an die Küste geströmt. Schätzungen zufolge schwammen eine Million Menschen gleichzeitig im Meer. Solange die israelische Flotte die Küste überwacht hatte, war Baden verboten gewesen. Unter dem Jubel der Menge fuhren einige mehr oder weniger seetüchtige Fischerboote hinaus, um wieder zu fischen wie in alten Zeiten. Da Israel ein Embargo verhängt hatte, internationale Unterstützung verhinderte sowie alle palästinensischen Zoll- und Steuerabgaben konfiszierte, waren die Palästinenser kurz vor dem Verhungern. Die Fischerboote vor den Stränden waren also mehr als eine trotzige und symbolische Geste der Freiheit. Sie waren ein ernsthafter Versuch, die Versorgungslage zu verbessern.
Israelische Apache-Kampfhubschrauber feuerten Warnschüsse auf die Fischerboote ab, die höhnisches Gelächter und Verfluchungen ernteten. Daraufhin eröffneten die Israelis das Feuer, versenkten an die dreißig Boote und töteten fast hundert Menschen. Genauere Zahlen wurden nie veröffentlicht. Doch es waren mit Sicherheit mehr Menschen ums Leben gekommen als bei den Angriffen der U-1 Jerusalem.
Einstimmig verurteilte der UN-Sicherheitsrat das Massaker an der palästinensischen Bevölkerung und forderte erneut Waffenstillstand und Verhandlungen. Einstimmig war der Beschluss allerdings nur dem Anschein nach, weil sich die USA und Großbritannien diesmal ihrer Stimmen enthalten hatten. Weder wollten sie Israel verurteilen noch konnten sie über den Massenmord hinwegsehen.
Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas erhielt in diesen Tagen die größte mediale Aufmerksamkeit seines Lebens. Plötzlich stand die Weltpresse für ein Interview mit ihm Schlange. Er nutzte die einmalige Gelegenheit weidlich aus.
Er akzeptierte die UN-Resolution und erteilte der palästinensischen Flotte über die Medien den Befehl, weitere Angriffe zu unterlassen. Generös ließ er wissen, dass ein gewisser israelischer Helikopterstützpunkt gerade noch einmal davongekommen sei.
Ein Bildausschnitt aus Al-Dschasiras erstem kurzen Interview auf der U-1 Jerusalem entwickelte sich zu einem Symbol, dessen Schlagkraft sich mit dem Porträt von Che Guevara messen konnte. Brigadegeneral Mouna al-Husseini mit der palästinensischen Flagge vor dem U-Boot-Turm, Wind in ihren Haaren, trotziges Lächeln, im Hintergrund Seegang.
Das Bild prangte weltweit auf den Titelseiten. Kurz darauf hing es von Casablanca bis Bagdad an den Häuserwänden. Allerdings rückten in Bagdad amerikanische Sicherheitskräfte aus, um die Plakate mit Farbe zu besprühen. Was dem Bild zu noch größerer Popularität verhalf.
Bald darauf bekam der neue Revoluzzer-Kult noch mehr Aufwind. Nachdem sie den Vizeadmiral um Erlaubnis gebeten hatte, hatte U-Boot-Korrespondentin Rashida Asafina die Gunst der Stunde genutzt und mithilfe eines Matrosen von der Pallas Athena eine Videokassette von Bord geschmuggelt.
Sie hatte ihm kurz erklärt, er solle das Band per Nachnahme verschicken
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