Cora - MyLady 334 - Clay, Merilyn - Miss Tessa aus Amerika
aufgeregter Tonfall und die Tatsache, dass sie bereits auf den Kassentisch zustrebte, verrieten Tessa, dass sie den Laden umgehend verlassen würden. Bestürzt stellte sie das Buch ins Regal zurück und eilte ihrer Freundin hinterher.
Die darauf folgende Fahrt in einen unbekannten Stadtteil genoss Tessa ungemein. Sie hatte den Eindruck, dass die Kutsche durch das Geschäftsviertel fuhr, und als die Luft dann kühler wurde und schwach nach Wasser roch, merkte sie, dass sie in der Nähe des Hafens waren.
»Viele Makler und Kaufleute unterhalten hier Kontore«, erklärte Deirdre Tessa, als der Tilbury vor einer Zeile schlichter Backsteingebäude hielt.
Interessiert sah Tessa sich um. Obwohl die Straße sehr schmal geworden war, standen am Straßenrand eine ganze Reihe von Kutschen. Modisch gekleidete Gentlemen eilten über den Gehsteig, doch sie entdeckte keine einzige Frau.
»Vielleicht sollte ich lieber allein hineingehen«, sagte Deirdre entschuldigend. »Ich möchte nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst, wenn uns jemand sieht. Ich kann immer noch behaupten, ich gebe wichtige Papiere von meinem Vater ab.«
»Natürlich.« Tessa nickte. »Es macht mir nichts aus zu warten.«
Sobald der Tilbury zum Stillstand gekommen war und die Stufen herabgelassen waren, sprang Deirdre hinab.
»Ich bleibe nicht allzu lange weg«, rief sie munter und verschwand in einem der Gebäude.
Tessa lehnte sich zurück. Es war ein herrlicher Nachmittag, und trotz des abgebrochenen Besuchs bei Hatchard’s genoss sie ihre Freiheit ungemein. Sie sah auf, als über ihr eine Möwe schrie. Im selben Moment fuhr eine gegenüber geparkte Kutsche an, sodass Tessa freie Sicht auf die Häuserfront und den Schriftzug auf dem Fenster hatte.
In schnörkellosen Blockbuchstaben stand dort: »The Political Register«.
Tessa blieb die Luft weg. Der »Political Register«! Sie sprang aus der Kutsche, eilte über die belebte Straße und betrat gleich darauf die kühlen, feuchten Räume in dem etwas heruntergekommenen Bürogebäude. Mit großen Augen sah sie sich um.
Sie entdeckte zwei Männer, die beide eifrig bei der Arbeit waren: Der eine ein Junge, der sich über einen papierübersäten Eichentisch beugte, der andere ein Pfeife rauchender weißhaariger Herr in einem schäbigen grauen Rock und schmuddeligen Hosen. Der Raum war erfüllt von süßlichem Tabakgeruch.
In diesem Augenblick sah der Ältere auf. Seine scharfen schwarzen Augen schienen Tessa bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken. Als er freundlich nickte, beruhigte sie sich umgehend.
Sie schluckte. »Sie sind es?«
Lächelnd stand der ältere Herr auf. »William Cobbett, zu Ihren Diensten, Madam. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»O Sir, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, Ihnen endlich gegenüber zu stehen!« sagte sie begeistert. »Ich bin Miss Tessa Darby und komme aus Amerika. Hoffentlich störe ich Sie nicht, aber als ich den Schriftzug am Fenster sah, musste ich einfach hereinkommen.«
Mr. Cobbetts Miene war freundlich. »Ich freue mich über Ihren Besuch, Miss Darby. Setzen Sie sich doch. Sie kommen also aus Amerika?«
Tessa kam sich vor, als hätte man sie ins Paradies gebeten. Ehrfürchtig trat sie weiter in den Raum hinein. Noch nie war sie so glücklich gewesen.
»Ich bleibe dabei, Gutsbesitzer machen sich zweifach schuldig, wenn sie es versäumen, sich gute Verwaltungsprinzipien anzueignen und qualifizierte Geschäftsträger einzustellen«, bemerkte einer der drei gut gekleideten Herren, die an jenem Nachmittag neben Lord Penwyck einher ritten.
Die vier Gentlemen waren kürzlich in einen neuen parlamentarischen Untersuchungsausschuss berufen worden, der sich mit betrügerischen Verwaltungspraktiken befassen sollte. Als Ausschussvorsitzender hatte Lord Penwyck eine Liste jener Geschäftsträger aufgestellt, die sie heute Nachmittag aufsuchen wollten.
»Einen guten Geschäftsträger oder Verwalter einzustellen heißt noch nicht, dass ein Gutsbesitzer damit aller Verantwortung für seinen Besitz ledig ist«, sagte Penwyck gerade.
»Zugegeben, als ich mein Erbe antrat, wusste ich fast nichts über die Verwaltung der Güter. Das gilt sicher für viele junge Männer.«
Die anderen Herren nickten ernsthaft.
»Wenn man seinen Besitz und den Wert des bewirtschafteten Landes nicht kennt«, fuhr Lord Penwyck mit klarer Stimme fort, »ist es fast unmöglich zu entscheiden, wie viel Pacht man verlangen und wie viel man für Verbesserungen ausgeben
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