Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
— Roderick wird wahrscheinlich ohnehin nicht hier sein ...«
»Wahrscheinlich? Nicht hier? Emma,
du weißt doch, wie klein die Wohnung ist.«
»Ich sitze auf der Straße, wenn du
mich nicht aufnimmst.«
Tess begann durch den Laden zu
gehen, um nicht laut zu schreien. Am liebsten hätte sie Emma Thatcher-Waltam
den Hals umgedreht.
»Ich würde es sofort tun, wenn die
Situation umgekehrt wäre«, sagte Emma spitz. »Und das weißt du sehr gut, Tess
Bishop.«
Tess wußte es. Sie konnte ihrer
Freundin nicht das Dach über dem Kopf verweigern. »Du könntest Rod verlassen.
Ich würde dir einen Zugfahrschein nach Simpkinsville kaufen und ...«
»Niemals«, sagte Emma entschieden.
Tess seufzte schwer. Eine schöne
Hochzeitsnacht würde das werden, mit einer schluchzenden Emma im Nebenzimmer
und Rod, der irgendwann in den frühen Morgenstunden nach einem Tête-á-tête mit
Cynthia nach Hause kam ... Eine wunderbare Hochzeitsnacht, wirklich.
Vierzehn
Es war leicht gewesen, ihn zu finden. So leicht.
Der Herr war auf Cornelia Hamiltons
Seite. Wie hätte sie wohl sonst gewußt, daß der Hausierer sich in Portland
aufhielt? Oder wie wäre sie ihm sonst so schnell begegnet, in einer Stadt, in
der Tausende von Menschen lebten?
Aber da war er. Er kam aus einem
Juwelierladen, trug viel feinere Kleidung als in Simpkinsville und lächelte.
Lächelte!
Cornelia haßte ihn. Er war ein Dämon
aus der Hölle, ganz bestimmt — wenn man bedachte, was er ihrer Familie angetan
hatte. Sie folgte ihm unauffällig und zog ihren Umhang noch fester um den
Körper.
Er ging schnell, und sie hatte Mühe,
ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Einmal schaute er sich um, als spürte er,
daß er verfolgt wurde. Aber als er Cornelia erblickte, schien er beruhigt.
Das war ein Fehler.
Aber wie gut er aussah! Fast konnte
sie jetzt verstehen, warum Emma ihm so leicht verfallen war. Er hatte ein
Gesicht, das an einen kriegerischen Engel denken ließ.
Und sie hatte Jessup verloren ...
und Emma. Durch seine Schuld. Das rief sie sich immer wieder ins Gedächtnis
zurück, während sie ihm folgte.
Er bog pfeifend in eine Seitenstraße
ein. Vermutlich ahnte er nicht, daß die himmlische Gerechtigkeit ihn eingeholt
hatte. Oder fast.
Cornelia folgte ihm in die
Seitenstraße. »Mister Shiloh?« rief sie laut.
Er blieb stehen und drehte sich
leicht ungeduldig um.
»Mister Joel Shiloh?«
Er schaute sie an, als wollte er den
Namen verleugnen, aber dann neigte er seufzend den Kopf. »Was wünschen Sie?«
Cornelia zog den kleinen,
zweischüssigen Derringer unter ihrem Umhang hervor. Als sie ihn hob und zielte,
warf Joel sich auf sie.
Doch es war zu spät. Eine Kugel traf
ihn in den Kopf, die andere in die Herzgegend, soweit Cornelia erkennen konnte.
Er stürzte zu Boden, mit dem Gesicht nach unten, und sein Blut färbte den
festgestampften Schlamm um ihn.
Cornelia hörte die Schreie, das
Geräusch rennender Füße auf dem Pflaster. Dann war sie von Menschen umringt,
die alle so schnell redeten, daß sie kein Wort verstand.
Sie lächelte, noch während sie
verhaftet wurde. Es war nicht von Bedeutung, was mit ihr geschah; sie war die
Frau, die den Teufel getötet hatte.
Nachdem Tess Emma im >Gästezimmer<
untergebracht hatte, wo sie nun schnarchte wie ein Bär, zog Tess sich in ihr
eigenes Zimmer zurück, um sich für ihre Trauung umzuziehen. Es war Olivia
gelungen, das schöne gelbe Batistkleid zu retten, und das wollte Tess an diesem
Abend tragen.
Sie bürstete ihr Haar, bis es
glänzte und steckte es zu einem weichen Knoten auf.
Dann begann sie ruhelos auf- und
abzugehen.
Es dämmerte bereits, und Emma
schlief noch immer im Nebenzimmer, aber Keith kam nicht zurück. Immer wieder
trat Tess ans Fenster, doch unter den vielen Gesichtern, die an ihrem Laden
vorbeigingen, konnte sie seines nicht entdecken.
Wo mochte er nur sein? Er hatte
gesagt, er käme bald zurück. Aber nun war er schon Stunden fort.
Er mußte es sich anders überlegt
haben, das war es. Vielleicht hatte er auch nie beabsichtigt, einen Ring zu
kaufen und Tess zu heiraten?
Tess rannte in die Küche und
errötete vor Scham, als sie daran dachte, was auf diesem Tisch geschehen war.
Amelies Ring und Kette lagen noch dort, ein stummer Beweis .
Beweis wofür?
Tess wanderte ungeduldig durch den
Raum. Vielleicht saß Keith in irgendeinem Saloon und stärkte sich für die
bevorstehende Zeremonie. Vielleicht ...
Aber er schien nicht viel zu
trinken, sie hatte ihn nur einmal
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