Coruum Vol. 1
Reichweite neben uns ragte ein halbkreisförmiger Steinring aus der Wand, reich mit in Kalkstuck getriebenen Hieroglyphen verziert.
»Ein Torstein!«, bemerkte ich aufgeregt. Raymond lächelte trotz der Anstrengung, die es ihm bereitete, den Ponton an der Wand zu befestigen.
Raymond deutete auf ein kleines neonrotes Fähnchen, welches auf der Wasseroberfläche in der Mitte des Loches trieb.
»Dort liegt die Stele. Versuchen Sie sich überwiegend schwimmend fortzubewegen, Doktor. Hier liegt noch jede Menge Gestein herum, wie Sie eben gesehen haben. Man kann sich schnell verletzen. Die Gummisohle der Watflossen hilft Ihnen beim Gehen über Felsen, wo es möglich ist. Versuchen Sie nur nicht, auf dem Schlamm zu stehen. Wir haben schon einige Flossen verloren. Miguel bleibt immer in Ihrer Nähe.«
Die anderen machten sich fertig.
»Wenigstens haben wir im Moment keine Strömung mehr. Der Wasserspiegel ist in der Nacht wieder etwas gefallen.«
Raymond öffnete eine Gitterseite des Pontons, und einer nach dem anderen setzte sich auf den Boden, die Flossen ins Wasser, während Miguel und ich ihnen die Automatenflaschen auf den Rücken schnallten. Dann stießen sie sich leicht ab und tauchten. Raymond gaben wir ein kleines Floß mit, auf dem die Spezial-Seile zur Befestigung an der Stele lagen.
Als Vorletzter war Miguel an der Reihe, und danach kam ich. Das Wasser war wunderbar kühl, aber trüb. Ich fühlte keinen Grund unter mir. Schwimmend folgte ich Miguel, meinen Kopf über der Wasseroberfläche haltend, bis wir die kleine Fahne erreichten.
Meine Spannung wuchs. Raymond wartete auf uns.
»Die Stele ist genau unter uns. Wenn Sie hier zu mir kommen, Doktor, können Sie auf ihrer Spitze stehen.« Seine Zähne grinsten mich an. »Wenn Sie ihre Flossen ausziehen, bekommen Sie auch wieder warme Füße. Bleiben Sie in der Nähe, wir befestigen jetzt die letzten Seile. Das dauert ungefähr eine halbe Stunde. Danach geht’s gemeinsam nach oben.« Er führte Zeigefinger und Daumen zu einem »O« zusammen, das Taucherzeichen für »alles in Ordnung«, nahm sein Mundstück zwischen die Zähne und verschwand unter der Wasseroberfläche, auf der ein heller Kalkstaubfilm schwamm.
Mehrere kurz aufleuchtende, matte Lichtflecken um mich herum markierten ungefähr die Positionen der anderen Taucher bei ihrer Arbeit. Der größte Teil des Loches lag noch im Schatten der steil um uns aufragenden Bodenschichten.
»Sehen wir uns die Spitze der Stele an, Doktor und dann arbeiten wir uns langsam in die Tiefe. Dann stören wir die anderen am wenigsten.«
Miguel deutete nach unten ins Wasser. »Wir haben hier maximal drei Meter Wasser unter uns. Also schön langsam bewegen, sonst wirbeln wir noch mehr Schlamm auf. Außerdem tut es nicht so weh, wenn Sie irgendwo anstoßen.« Er lachte mich an, setzte sein Mundstück ein und wartete auf mich.
Also los! Ich machte mich fertig, tat ein paar Atemzüge, um mich an den Atem-Widerstand des Automaten zu gewöhnen, und ließ mich absinken.
Dunkelheit! Ich wollte schon wieder auftauchen, als ich mich an die Lampe auf meinem Kopf erinnerte.
Wo war der Schalter? Ich tastete auf meinem Kopf herum und fand ihn schließlich auf meiner Stirn, in die Haube eingearbeitet. Ich drückte ihn und sofort wurde alles um mich herum milchig braungrün. Unzählige Schwebstoffe trieben vor mir her. Mein Sichtfeld hatte sich auf knapp einen halben Meter erweitert.
Ich beruhigte mich wieder und tat ein paar betont regelmäßige Atemzüge.
»Alles klar, Doktor?«, hörte ich die nuschelige Stimme von Miguel. Ich spürte seine Hand auf meiner rechten Schulter und sah dorthin. Sein maskiertes Gesicht schwebte vor mir. Seine Lampe blendete mich kurz. Ich nickte und fügte ein ja hinzu.
»Bleiben Sie dicht bei mir.« Er nahm meine Hand und legte sie sich auf die Schulter, als Zeichen dafür, dass ich ihm folgen sollte. Dann drehte er sich leicht zur Seite, begann langsam abzusinken.
Aus dem Dunst der Schwebstoffe tauchte plötzlich etwas Massives, Hellscheinendes auf.
Die Stele! Sie wirkte aufgrund meines eingeschränkten Gesichtsfeldes größer, als sie in Wirklichkeit war. Mir fiel sofort ihre ebene, braungraue Oberfläche auf, in der sich der diffuse Lichtfleck meiner Kopflampe – und beim Näherkommen auch mein Gesicht – spiegelten.
Wie poliert, nach über eintausendfünfhundert Jahren im Wasser. Nicht eine Verunreinigung oder ein Kratzer waren zu sehen.
Die Reflexion meiner Lampe wanderte das
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