Cosm
und beobachtete dabei den Schirm. Die Meldungen der Szintillatoren erschienen als lange, einheitlich grüne Zahlenkolonnen, ein Signal für ›OK‹. »Verdammt!«
Zak hatte Anschlüsse kontrolliert und fuhr nun erschrocken hoch. »Was ist los?«
»Gar nichts, das ist ja das Problem.«
»Das kann nicht sein.«
»Das Uran schießt durch die Röhre, aber es kommt nichts raus!«
Zak runzelte die Stirn. »Wie können sich die beiden Ströme verfehlen?«
»Das können sie eben nicht . Alle Magneten arbeiten normal, die Fokussierung ist exakt …«
Sie kam sich lächerlich vor, denn was sie da hinausschrie, konnte er auch selbst sehen, aber sie mußte sich einfach Luft machen. Und außer Zak war niemand im Raum. Vor Postdocs und Diplomanden durfte man die Maske unerschüttlicher Gelassenheit schon einmal fallen lassen.
Zak war verlegen geworden. »Äh … ja«, stammelte er, »ich schätze, wir machen einfach …«
»Wir sehen uns den Cherenkov-Detektor an.«
Sie hatte sich wieder gefaßt und marschierte auf das große Instrument am hinteren Ende des BRAHMS zu.
Zak folgte ihr wie ein treuer Hund. Eigentlich war sie sicher, daß dieser Detektor die Zählung nicht verfälschen konnte, aber mit der Tücke des Objekts mußte man wohl immer …
Ein lauter Knall. Die Betonwände warfen das Echo zurück.
Sie stolperte vor Schreck und fiel längelang zu Boden. Bruchstücke prallten klirrend von den Wänden ab und durchschlugen die Metallverkleidungen.
Der Knall war von hinten gekommen. Was …?
»Sind Sie verletzt?« rief Zak.
»Nein. Nur hingeplumpst.«
Zak schüttelte den Kopf, als habe er eine Biene im Ohr. »Mann, das war laut.«
»Wie in …« Ein Zischen war zu hören. »Das Vakuumsystem hat ein Leck!«
Hastig liefen sie zum Mittelabschnitt des BRAHMS zurück. In der Röhre klaffte ein großes Loch.
Die Bruchstelle befand sich unweit vom Zentrum ihres eigenen Detektors, unter einem ihrer stärksten Magneten.
»Ich rufe die Zentrale an«, rief Zak mit schriller Stimme. Bei ihm setzte der Schock erst jetzt ein. Er rannte mit schweren Schritten auf das Wandtelefon zu. Alicia wollte nachdenken, aber das Zischen machte jede Konzentration unmöglich.
»Die nächste Schleuse dichtet automatisch ab …« Sie verstummte, ihre Stirn umwölkte sich. Das sah nicht gut aus, das roch nach einer Katastrophe. Alles war übersät mit Scherben und verbogenen Metallteilen.
Vorsichtig stieg sie über das übliche Kabelgewirr. Unter ihren Stiefeln knirschte es. Das Core-Element , das sie mit ihrer Gruppe an der UC-Irvine gebaut hatte, bestand aus zylindrisch angeordneten, untereinander verkabelten Spezialsensoren. Sie schluckte krampfhaft. Jetzt war es ein Wrack.
Wer mit Elementarteilchen experimentierte, mußteseinen Detektor sehr gut kennen, um das Rauschen ausfiltern und zum Informationskern vordringen zu können. Das hieß normalerweise, man mußte das Ding gebaut, mußte es in langen, aufreibenden Nächten zu seinem Lebensgefährten gemacht, mußte eine Menge Geduld investiert haben, um schließlich mit wenigen und allzu kurzen Augenblicken der Erkenntnis belohnt zu werden.
Wegen dieses Instruments hatte sie sich in Fieberphantasien hin- und hergewälzt. Und jetzt lagen die glatten Flächen, die eingebetteten Mikrochips, die akkurat verlöteten Schaltkreise – in Trümmern.
Sie ließ sich gegen einen grauen Stahlpfeiler sinken. In dieses Core-Element , wie es auf den Detektordiagrammen genannt wurde, hatte sie Jahre ihres Lebens investiert. Es war ihr geistiges Kind. Sie hatte keine Phase ihres Physikertraums ausgelassen: zuerst die Experimente am Collider, dann die endlosen Gespräche, bis auch die Kollegen überzeugt waren, mit dem geliebten Detektor eine transparente Linse zu bekommen, ein passives, objektives Instrument, das es der Wissenschaft gestattete, die Wirklichkeit zu beobachten.
Jedes Referat über Teilchenphysik begann mit einer liebevollen, fünfzehnminütigen Detektorbeschreibung, von den Theoretikern spöttisch als ›Tesafilm‹ des Seminars bezeichnet. Theoretische Physiker waren Platoniker und setzten als solche voraus, daß ein Detektor nüchtern die Realität betrachtete. Experimentalphysiker waren Cartesianer und als solche nie ganz sicher, ob sie sich auf ihre Sinne auch wirklich verlassen konnten.
Alicia erlebte nun, wie ihre Sinne sie im Stich ließen, und senkte den Kopf. Sie stürzte in ein tiefes schwarzes Loch, die Knie wurden ihr weich, ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen. Das
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