Cosm
Singles-Bar lungerten keine interessanten Typen herum, ein Zeichen, daß es sich um ein richtiges Speiselokal handelte und nicht nur um eine Kneipe mit Vorspeisenbuffet.
Jill steigerte sich richtiggehend in ihre Rolle als neurotischer Gast hinein, äußerte jede Menge Extrawünsche, verlangte kleinere Teller, um die Mengen größer erscheinen zu lassen, zog ihr eigenes, ultrafettarmes Salat-Dressing aus der Tasche, zählte mit dem Taschenrechner am Tisch die Kalorien zusammen und schwärmte in den höchsten Tönen von Sojasprossen. Alicia erinnerte sich, wie sie sich einmal vor einer Doppelverabredung in einem langen Selbstgespräch darüber ausgelassen hatte, ob man nicht doch wenigstens einen Happen essen sollte, bevor man ins Restaurant ging, sonst dächten die Kerle am Ende noch, man sei verfressen.
Die Speisekarte listete im Stil von ›Äpfel in Zimt gedünstet mit Kleeblütenhonig an Creme fraiche ‹ bei allen Gerichten sämtliche Zutaten auf. Sie hatten (nach schwierigen Verhandlungen) als Vorspeise zu zweit eine Portion Hähnchen in mexikanischer Sauce mit weißemSpargel bestellt, eine ungewöhnliche und auch nicht ganz geglückte Kombination, und waren fast fertig damit, bevor es Alicia gelang, ein paar Sätze über ihre Kugel unterzubringen. Jill hörte aufmerksam zu und nickte immer wieder, während sie an den Selleriestäbchen knabberte.
Bevor Alicia sich vollends in einzelnen Diagnoseverfahren verlieren konnte, gähnte Jill und stupste sie mit dem Finger an. »Was kann dir Brookhaven schon anhaben? Du hast mitgenommen, was dir dein Experiment verdorben hat. Das war dein gutes Recht.«
»So denkt man bei uns nicht. Physiker sind keine Pferdehändler.«
»Mußt du sie irgendwie spalten?«
Alicia lachte laut auf. Vielleicht harte sie zu viel Wein getrunken. »Wir haben es versucht. Aber sie läßt sich nicht spalten.«
»Du kannst immer noch behaupten, du hättest nicht gewußt, was es ist.«
»Schon. Aber man kann ein wichtiges Versuchsprodukt nicht einfach verschwinden lassen …«
»Woher weißt du denn, daß es wichtig ist?«
Alicia merkte plötzlich, daß sie mit geballter Faust dasaß. »Das spüre ich einfach.«
»Der Zeuge weicht aus, Euer Ehren.«
»Also schön, ich weiß es nicht. Aber wenn man mich fragt, muß ich ehrlicherweise zugeben, daß ich von Anfang an das Gefühl hatte.«
»Dann sagst du einfach: ›Euer Ehren, ich verweigere mangels gesicherter Informationen die Aussagen«
Alicia schüttelte nur den Kopf.
Jill runzelte die Stirn, dann schob sie die Tasse mit dem koffeinfreien Espresso beiseite, beugte sich über den Tisch und faßte Alicia an den Händen. »Die Sache belastet dich mehr, als du zugeben willst.«
»Stimmt. Ich … ich weiß nicht, was das verdammte Ding eigentlich ist, ich habe ohne zu überlegen etwasVerrücktes getan, und ich kann eigentlich mit niemandem darüber reden, denn wenn etwas durchsickert, zieht man mich zur Rechenschaft.«
»Ich bin kein Raketenforscher … Mein Gott, ist das nicht ein schrecklicher Satz? Als ob die Ingenieure, die Raketen hochschießen, so besonders schlau wären! Du brauchst bloß mal mit einem von denen ins Bett zu gehen! – aber eins kann ich dir sagen: jemand wie ich erwartet einfach, daß ein Wissenschaftler seine Neugier nicht mehr beherrschen kann, wenn er erst mal Blut geleckt hat.«
Alicia sah sie überrascht an. »Das heißt, es sieht nicht von vornherein so aus, als hätte ich eine Todsünde begangen. Das beruhigt mich.«
»Hiermit spreche ich dich los von allen Sünden, mein Kind. Muß man dem Papst nicht den Ring küssen? Ich nehme noch einen Espresso.«
Anschließend spazierten sie am Strand entlang. Jill konnte sich nur knapp vor einer großen Welle retten, die sich schäumend über ihre neuen, grünen Sandalen ergießen wollte. Alicia begleitete sie zu ihrem Luxus-BMW, den sie aus Angst vor der zunehmenden Touristeninvasion an der Legion Street geparkt hatte.
Danach ging Alicia noch einmal an den Strand und lauschte dem Tosen der Brandung. Nachdem sie eine Zeitlang auf den Felsen gesessen hatte, kam ihr alles nicht mehr so schlimm vor. Als sie über den Coast Highway zurückging, wand sich die Stadt wie eine Lichterkette um die hohen, kohlschwarzen Berge.
Sie gähnte, und in diesem Augenblick sah sie eine zweite, schwarze Frau auf sich zukommen. Jills Einfluß war noch wirksam; Alicia begann sofort, die vermeintliche Rivalin zu taxieren. Nicht schlecht, nein, aber auch nicht überragend, etwas zu
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