Cosmopolitan zum Frühstück
schon grenzenlos. Instinktiv hatte sie erfasst, dass der Ehrgeiz, den er so eifrig leugnete, ihm den verdienten Erfolg eingebracht hatte. Dieser Ehrgeiz war das, was sie so zueinander hinzog. Es hieß zwar, dass Gegensätze sich anziehen, aber Männer ohne Ziele erweckten weder Melanies Respekt noch ihre Leidenschaft. Jacob dagegen tat beides.
Und das machte die Sache so kompliziert. Wenn Melanie nicht irgendwo unter einer Brücke enden wollte, sollte sie die Sache schleunigst abblasen. Es war nur vernünftig, dem Ganzen hier und heute ein Ende zu bereiten. Sie musste ihn aus ihrem Leben schaffen, solange sie noch die Kraft dazu besaß.
Sie trank ein paar gierige Züge und wünschte, sie hätte einen weniger lauschigen Treffpunkt gewählt. Sie musste sich doch auf ihre Karriere konzentrieren und auf gIRL-gEAR, und das lief im Grunde auf ein und dasselbe hinaus. Ginge es nur um sie selbst, müsste sie sich weniger vorsehen. Aber da waren ja noch Mom und Granny.
Mit einer verächtlichen Grimasse setzte Melanie das Glas ab. Sowohl ihr Großvater als auch ihr Vater hatten sich eines Tages aus dem Staub gemacht und ihre Ehefrauen mit gebrochenem Herzen zurückgelassen. Und obwohl die beiden Frauen Unabhängigkeit predigten, hatten sie sie nicht verwirklichen können. Anstatt ihren Träumen nachzujagen, mussten Melanies Mutter und Großmutter ihre Sekretärinnenjobs behalten, um ein Dach über dem Kopf zu haben und für Melanies Schulgeld und ihre Bücher aufzukommen.
An der Universität fand Melanie Gesinnungsgenossinnen. Die sechs Gründer-gIRLS schworen einander, Männer ins Schlafzimmer, niemals aber ins Vorstandszimmer zu lassen. Daran hatten sie sich bis vor Kurzem auch gehalten. Neuerdings aber schienen Sex oder Beziehungen alle anderen Prioritäten zu verdrängen. Und bis sich alles wieder eingependelt hatte, musste Melanie wohl oder übel in der Firma die Stellung halten. Sie musste den Kopf fürs Geschäft frei haben, basta!
Verärgert sah sie auf die Uhr. Jacob verspätete sich. Vielleicht kniff er ja ganz? Toll, er ließ sie sitzen, ehe sie selbst entscheiden konnte, ob sie ihm nun den Laufpass geben sollte oder nicht. Typisch Männer! Immer wollten sie das letzte Wort behalten.
Sie hatte sich absichtlich mit dem Rücken zur Tür gesetzt, um nicht dauernd nach ihm Ausschau zu halten. Laut Drehbuch würde sie sich ganz cool geben. Allerdings waren ihre Handflächen inzwischen so feucht, dass sie ernsthaft bezweifelte, ob sie das durchhalten konnte.
Seit Laurens Hochzeit war sie keine Nacht eingeschlafen, ohne an ihn zu denken. Das wurmte sie, und sie hatte beschlossen, das abzustellen. Aber jetzt, wo er sie möglicherweise versetzt hatte, sehnte sie sich nach seinem Lächeln oder einem kleinen Wortgefecht mit ihm. Er regte sie an, geistig und körperlich, und, ganz ehrlich, er würde ihr fehlen.
“Hast du mich eigentlich vermisst?” Jacob nahm ihr gegenüber Platz.
“Wieso sollte ich? Ich hatte einen ganzen Tag für mich allein und wurde nicht auf Schritt und Tritt bespitzelt und belauscht.”
“Ja, Kameras können einen ganz schön nerven.” Er winkte dem Kellner und bestellte. “Trotzdem ist es ein herber Verlust, wenn eine unversehens aus dem Verkehr gezogen wird. Ich schätze, sie liegt jetzt im Müllcontainer?”
“Du kannst sie ja wieder rausfischen. Der Schrott hat dich doch nicht mehr als fünfzehn Dollar gekostet. Ein Wunder, dass sie’s überhaupt lang genug getan hat. Du wirst dich wundern, wenn du die Rechnung über die geklaute Netzzeit erhältst.”
“Kein Problem.” Er lehnte sich entspannt zurück und breitete die Arme aus. “Wenn ich dieses Video zum Download anbiete, mache ich ein Vermögen.”
Vor Schreck stieß Melanie ihr Weinglas um. Sein ganzer Inhalt ergoss sich auf das blau-rot gemusterte Tischtuch. Zerknirscht sah Jacob Melanie an. “War nur ‘n Scherz, das weißt du doch! Sag, dass du’s weißt, sonst jage ich mir auf der Stelle eine Kugel in den Kopf.”
Mit viel Mühe gelang es Melanie, die brennenden Tränen zurückzudrängen. Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie sicher war, bald würde ein klaffendes Loch in ihrer Brust gähnen. “Es war ein Scherz.”
“Genau!”, bekräftigte er. Er wollte ihre Hand nehmen, aber sie hatte die Finger im Schoß verschränkt. “Ein ziemlich übler Scherz. Wird nie wieder vorkommen, versprochen!”
Melanie presste die Lippen aufeinander und zwang sich, langsam und tief zu atmen. Allmählich beruhigte sich ihr Puls.
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