Cotton-Malone 03 - Der Pandora-Pakt
auch auf Aids zu.«
»Welcher Stoff der Pflanze, die Sie gekaut haben, hat denn gewirkt?«, fragte Karyn.
»Nicht welcher Stoff. Sondern welche Organismen. «
Er spürte, wie ihre Angst nachließ, als sie Hoffnung schöpfte, dass ihre scheinbar gewaltsame Entführung sich nun in die Aussicht auf Rettung verwandelte.
»Vor dreißig Jahren entdeckten wir ein Virus im Blut Grüner Meerkatzen. Im Hinblick darauf, was wir heute wissen, waren unsere damaligen Kenntnisse über Viren rudimentär. Wir hielten das Virus für eine Variante der Tollwut, doch seine Form, seine Größe und sein Aufbau waren anders.
Schließlich erhielt das Virus den Namen Simianes Immundefizienz-Virus – SIV. Wir wissen inzwischen, dass SIV unbegrenzte Zeit in Affen existieren kann, ohne den Tieren zu schaden. Anfangs dachte man, die Affen hätten eine Art Resistenz entwickelt, doch später stellte man fest, dass die Anpassungsleistung von Seiten des Virus erfolgt war. Das Virus schien chemisch gesehen ›begriffen‹ zu haben, dass es nicht jeden biologischen Organismus, mit dem es in Kontakt kam, zerstören durfte. So lernte das Virus, in den Affen zu existieren, ohne dass die Affen überhaupt merkten, dass sie befallen waren.«
»Davon habe ich gehört«, sagte Karyn. »Und die Aids-Epidemie hat mit einem Affenbiss begonnen.«
Er zuckte die Achseln. »Wer weiß? Vielleicht war es ein Biss oder ein Kratzer, vielleicht geschah es auch über die Nahrungsaufnahme. Affen sind ein regulärer Bestandteil vieler regionaler Küchen. Aber wie auch immer es dazu gekommen sein mag, sicher ist, dass das Virus von Affen stammte und nun den Menschen befiel. Ich habe mit eigenen Augen bei einem Mann namens Charlie Easton verfolgen können, wie aus dem SIV das HI-Virus wurde.«
Er erzählte ihr, was – gar nicht so weit von ihrem jetzigen Aufenthaltsort – vor Jahrzehnten geschehen war, als Easton starb.
»Das HI-Virus ging mit dem Menschen allerdings nicht so sorgsam um, wie das SIV mit den Affen. Es vermehrte sich rasch in den Lymphknoten, und nach einigen Wochen war Charlie tot.
Aber er war nicht der Erste, der an Aids starb. Die früheste HIV-Infektion, die eindeutig nachgewiesen werden konnte, hatte ein Mann aus England. 1959. Eine eingefrorene Serumprobe, die Anfang der Neunzigerjahre getestet wurde, zeigte HIV in seinem Blut, und die Krankenakte des Mannes bestätigte, dass er Aids gehabt hatte. Höchstwahrscheinlich existieren sowohl SIV als auch HIV schon seit Jahrhunderten. Aber die Leute starben damals in abgelegenen Dörfern, und die wahren Todesursachen wurden nicht festgestellt. Der Tod wurde ja auch durch Folgeinfektionen wie zum Beispiel Lungenentzündung ausgelöst, weswegen die Ärzte Aids-Erkrankungen damals nicht erkannten. In den Vereinigten Staaten wurden Aids-Erkrankungen ursprünglich als ›Lungenentzündung der Schwulen‹ bezeichnet. Wahrscheinlich hat die Krankheit sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts ausgebreitet, als Afrika sich allmählich modernisierte und die Menschen in die Städte zogen. Irgendwann trug jemand das Virus dann übers Meer, und in den Achtzigerjahren hatte es sich auf der ganzen Welt verbreitet.«
»Und so hat eine Ihrer natürlichen biologischen Waffen ihre Arbeit erfolgreich getan.«
»Tatsächlich hielten wir das Virus für völlig ungeeignet zu diesem Zweck. Wir fanden die Art der Übertragung zu kompliziert für eine biologische Waffe, und es dauerte uns zu lang, bis die Erkrankten starben. Was durchaus positiv ist, denn wenn es einfacher ginge, wäre HIV eine moderne Form des Schwarzen Todes geworden.«
»Aber die ist es doch«, entgegnete sie. »Das Virus bringt nur noch nicht die richtigen Leute um.«
Er wusste, was sie meinte. Gegenwärtig gab es zwei Hauptvarianten. Das in Afrika vorherrschende HIV-1 und das weiterhin bei Fixern und Homosexuellen verbreitete HIV-2. In jüngster Zeit waren ein paar neue Varianten hinzugekommen, zum Beispiel eine besonders üble Spielart des Virus in Südostasien, die vor kurzem zu HIV-3 erkoren worden war.
»Easton«, sagte sie. »Dachten Sie, dass er sie infiziert hätte?«
»Damals wussten wir fast nichts über die Übertragungswege des Virus. Und vergessen Sie nicht, dass jede biologische Offensivwaffe ohne das entsprechende Gegenmittel nutzlos ist. Deswegen ging ich mit, als der alte Heiler mir anbot, mich in die Berge zu führen. Er zeigte mir die Pflanze und sagte, der Saft ihrer Blätter könne das Leiden heilen, das
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