Cowboy - Riskanter Einsatz
seinen Augen spiegelte sich erneut Überraschung. „Sie sind ein Witzbold“, höhnte er und stoppte gekonnt sein Nasenbluten. Offenbar war er geübt darin, Verletzungen zu behandeln, die er bei Prügeleien davongetragen hatte.
„Dann passen wir ja zusammen. Du bist nämlich ein echter Charmebolzen und ein Scherzkeks obendrein, Kleiner.“
Er hielt ihrem Blick stand und starrte sie unverschämt an: James Dean und Marlon Brando in einer Person mit seinen schweren Lidern und den spöttisch gekräuselten Lippen. Es war ihm tatsächlich gelungen, seine Schmerzen und seine Tränen der Wut hinter einer Maske der Gleichgültigkeit zu verstecken. „Ich hab Ihnen gestern ein Fenster eingeworfen.“
„Ich weiß.“ Melody konnte durchaus auch so tun, als wäre ihr alles egal. „Unfälle passieren nun mal.“
„Ihre Schwester glaubt nicht, dass es ein Unfall war.“
„Meine Schwester war noch nie besonders nachsichtig.“
„Sie ist eine Hexe.“
Melody musste lachen. „Nein, das ist sie nicht. Aber sie geht ziemlich leicht an die Decke.“
Er wandte den Blick ab. „Wie auch immer.“
Sie reichte ihm noch mehr Papiertaschentücher. Am liebsten hätte sie ihn in die Arme genommen und einmal kräftig gedrückt. Für einen Zwölfjährigen war er ziemlich hager, im Grunde nur ein dürrer kleiner Junge. Die Verletzungen, die die Prügelei ihm eingebracht hatte – und vermutlich auch all die anderen Kämpfe seines jungen Lebens – ‚gingen tiefer als eine aufgeplatzte Lippe, eine blutige Nase und ein paar Schürfwunden und Kratzer. Aber obwohl er aussah wie ein Kind, benahm er sich wie ein bereits abgestumpfter Halbstarker. Deshalb lächelte sie ihn nur an.
„Sie sind hübscher als, wie heißt sie noch gleich? Die Hexe“, sagte er. Dann fügte er mit einem verächtlichen Schnauben hinzu: „Und was haben Sie davon? Einen dicken Bauch.“
„Um ehrlich zu sein, den dicken Bauch habe ich nicht, weil ich hübsch bin, sondern weil ich unvorsichtig war“, widersprach Melody ernst, „und der Verzicht auf ein Kondom hätte weitaus schlimmere Folgen für mich haben können. Heutzutage muss man Kondome benutzen, um sich gegen Aids zu schützen. Aber das weißt du sicher längst. Kluge Männer vergessen das nicht – nicht einmal für einen Augenblick.
Andy nickte, tat obercool, geradeso als ob er jeden Tag irgendwo rumsaß und sich mit Frauen über Kondome unterhielt. Ganz offensichtlich gefiel es ihm, dass sie mit ihm sprach wie mit einem Erwachsenen.
„Worum ging es bei der Prügelei?“
„Die haben mich beleidigt.“ Er zuckte die Achseln. „Ich bin auf sie losgegangen.“
„Du bist auf sie losgegangen? Andy, die beiden wiegen zusammen etwa viermal so viel wie du!“
Er fuhr auf. „Sie haben mich beleidigt. Sie haben Lügen über meine Mutter erzählt, sie eine Hure genannt, eine Trickbetrügerin und Diebin, und behauptet, sie wisse nicht einmal, wer mein Vater ist. Als wäre ich nur ein lausiger Bastard.“ Er warf einen Blick auf ihren Bauch: „Entschuldigen Sie.“
„Ich weiß, wer der Vater meines Babys ist.“
„Ein Soldat, der Ihnen das Leben gerettet hat.“
Melody lachte. „Junge, Junge, erst wenige Tage hier und schon auf dem Laufenden über den Kleinstadttratsch! Nicht schlecht.“
Er zuckte erneut die Achseln. „Ich höre zu. Mein Vater ist auch Soldat. Und ich bin ihm genauso schnuppe.“
Genauso schnuppe. Melody schloss für einen Moment die Augen, kämpfte gegen eine neue Welle von Übelkeit. Sie konnte nicht gerade behaupten, dass ihr Baby Harlan Jones schnuppe war. Er wusste ja nicht einmal davon.
„Und? Wollen Sie es behalten oder weggeben?“
Das Baby. Andy sprach von dem Baby. „Ich werde es behalten. Ihn behalten.“ Melody rang sich zu einem Lächeln durch. „Ich glaube, es ist ein Junge. Ich weiß es aber nicht genau. Ich habe eine Ultraschalluntersuchung machen lassen, aber ich wollte nicht wissen, welches Geschlecht das Baby hat. Trotzdem, es … er fühlt sich einfach an wie ein Junge.“
Wie aufs Stichwort begann das Baby seine vertraute Turnstunde. Es streckte sich, drehte sich und strampelte heftig.
Melody lachte, legte eine Hand auf ihren Bauch und fühlte die Bewegung von innen. Es war erstaunlich, ein wahres Wunder. Sie würde sich nie an dieses herrliche Gefühl gewöhnen, das sie sogar mit ihrem übersäuerten Magen und ihrer ständigen Übelkeit auszusöhnen vermochte.
„Er strampelt“, erklärte sie Andy. „Gib mir deine Hand. Das musst du
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