Crash: Thriller (German Edition)
5 Uhr 30 aufging, hielt Tamara an, um den Tank aus den großen Benzinkanistern im Rückraum des Wagens wieder aufzufüllen. Jetzt, wo es Tag war, konnte sie schneller fahren, aber es war immer noch eine mörderische, holprige Fahrt. Um 9 Uhr war der Wagen glühend heiß, und obwohl sie mehr als einhundert Meilen gefahren waren, seit sie das Lager bei Derweze verlassen hatten, waren sie immer noch von Sanddünen umgeben. Die Wüste schien endlos zu sein. Alle zehn Minuten schaute Michael auf die Uhr und zeigte in die richtige Richtung, wobei er sich mittlerweile am Stand der Sonne orientierte, aber im Übrigen war der Junge teilnahmslos. Er hatte seit Stunden kein Wort mehr gesagt. Tamara begann sich Sorgen um ihn zu machen – es gab nichts zu essen im Wagen und nur eine Flasche Wasser. Hin und wieder stöhnte Michael auf.
Und dann, kurz nach zehn Uhr, sagte der Junge: »Schau mal«, und zeigte nach rechts. Tamara dachte zunächst, er wollte wieder ihre Fahrtrichtung korrigieren, aber diesmal schien er einen Fehler gemacht zu haben.
»Michael, bist du sicher, das ist Nordosten? Das kommt mir zu nah an der Sonne vor, um …«
»Nein«, sagte er, während er immer noch in die gleiche Richtung zeigte. »Ein Dorf.«
Tamara beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. Am Horizont entdeckte sie eine Ansammlung grauer Hütten. Sie lenkte den Land Cruiser darauf zu und fuhr so schnell sie konnte. Auf der linken Seite des Dorfs bemerkte sie hohe Pfähle, die in dem sandigen Boden steckten, eine ganze Reihe von ihnen, die sich nach Osten erstreckte. Das waren Telefonmasten.
Hier musste sie ein Telefon finden und die US-Botschaft anrufen. Wenn sie mit dem amerikanischen Botschafter sprechen und ihm die Situation erklären konnte, könnte er ihnen vielleicht helfen, aus Turkmenistan herauszukommen, bevor die Wahren Gläubigen sie aufspürten. Ihr eigenes Leben war ihr egal, aber sie war fest entschlossen, Michael zu retten, selbst wenn das bedeutete, Bruder Cyrus zu verraten. Seit sie sich den Wahren Gläubigen angeschlossen hatte, hatte sie sich an Cyrus’ Prophezeiungen geklammert, an seine Verheißung, dass sie ihren Bruder Jack wiedersehen würde. Aber inzwischen erkannte sie, dass Cyrus sich geirrt hatte – die Verheißung war auf der Erde erfüllt worden, nicht im Himmelreich. Tamara sah den Geist ihres Bruders in Michael. Jacks hilflose Augen starrten sie aus dem ausdruckslosen Gesicht des Jungen an. Ihn zu retten, war ihr jetzt wichtiger, als das Universum zu erlösen.
Nach ein paar Minuten erreichte sie den Rand des Dorfs. Die Bezeichnung Dorf war wirklich eine Übertreibung dafür – es gab nur ein Dutzend primitiver Hütten, die aus verrosteten Metallplatten zusammengebaut waren. Die Hütten lehnten in einem schiefen Wirrwarr aneinander, und mehrere Kochfeuer schwelten in geschwärzten Gruben in der Nähe vor sich hin. Das Dorf lag am Ende eines langen sandigen Wegs, aber Tamara konnte keine Personen- oder Lastwagen ausmachen. Bei dem einzigen Fahrzeug, das in Sicht war, handelte es sich um ein verstaubtes Motorrad, das hinter einem blockähnlichen Betonbau geparkt war, dem bei Weitem größten Gebäude des Dorfs. Es gab allerdings noch ein Kamel, das an einen Pflock gebunden war, ein schäbiges Dromedar, das auf einem mit seinen Exkrementen übersäten Flecken Sand stand. Der heißeste Teil des Tages näherte sich allmählich, und die Bewohner des Dorfs saßen wahrscheinlich im Schutz ihrer Hütten.
Tamara hielt neben der Siedlung an und überlegte, was sie machen sollte. Dann entdeckte sie zwei Kinder, die einen Waschbottich trugen, jedes einen Griff in der Hand wie eine turkmenische Version von Jack und Jill. Sie waren ungefähr sechs Jahre alt und sahen ziemlich hinreißend aus. Der Junge hatte eine Shorts und ein gestreiftes T-Shirt an, und das Mädchen trug ein langes farbenfrohes Kleid und ein geblümtes Kopftuch. Sie schleppten Wasser von der Dorfpumpe zu einer der Hütten, aber sie wurden langsamer, als sie den Land Cruiser sahen. Sie schienen eher neugierig als ängstlich zu sein. Tamara stieg aus dem Wagen aus und ging auf sie zu.
Die Kinder standen sehr still da und musterten sie. Sie hatten vermutlich noch nie eine Frau in Uniform gesehen. Tamara lächelte. »Hallo, Kinder! Ich suche nach einem Telefon.« Sie sprach das Wort »Telefon« laut und langsam aus, weil sie hoffte, dass die turkmenische Sprache ein ähnliches Wort dafür hatte. »Wisst ihr, wo ich ein Telefon finde?«
Die beiden
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