Crash: Thriller (German Edition)
gehauenen Leopardenreliefs flankiert war. David erkannte diesen Zugang zur Altstadt wieder – er hatte das Löwentor bereits gesehen, als er Jerusalem vor zehn Jahren besucht hatte, aber jetzt erschütterte ihn seine schlichte Schönheit aufs Neue. Für einen Historiker war die Altstadt wahrhaft der Himmel auf Erden. Mit einem Durchmesser von weniger als einer Meile war sie mit alten Moscheen und Tempeln und Kirchen zum Bersten gefüllt. David schaute nach links und erblickte den Felsendom, den ältesten islamischen Sakralbau, der diesen Teil der Stadt dominierte. Er stand auf einem erhöhten Platz, den die Juden als Tempelberg bezeichnen, weil an dieser Stelle ihr Tempel gestanden hatte, bevor die Römer ihn im Jahr 70 n. Chr. zerstörten. Und direkt unter dem Tempelberg lag die Via Dolorosa, der Weg, den Jesus auf dem Weg zu seiner Kreuzigung gegangen war. Der Anblick reichte aus, um sogar einen Agnostiker wie David, der katholisch erzogen worden war, aber seit dreißig Jahren keinen Fuß mehr in eine Kirche gesetzt hatte, mit Ehrfurcht zu erfüllen.
Sie schritten durch das Löwentor und gingen dann eine leicht abschüssige Gasse hinunter, deren Pflastersteine durch Jahrtausende von Fußgängern glatt gewetzt worden waren. Die Gasse war voll mit Menschen, die in die entgegengesetzte Richtung unterwegs waren, hauptsächlich Palästinenserinnen mit weißen Kopftüchern, die die Altstadt mit vollen Einkaufstüten verließen. Eine Schar älterer Nonnen schlurfte vorbei, denen ein Paar israelische Soldaten folgte, die nervös durch das islamische Viertel patrouillierten. Beide Seiten der Gasse waren von Läden gesäumt, die Artikel für Touristen im Angebot hatten – T-Shirts, Posters, Kippas, Wasserpfeifen und eine breite Auswahl grellbunter Ölgemälde, auf denen die Kreuzigung dargestellt war. Palästinenser saßen vor den Geschäften unter Markisen an verrosteten Eisenstangen und tranken Tee. Sie schauten Aryeh Goldberg misstrauisch an, sagten aber nichts, während er mit seiner Taschenlampe in die dunkler werdende Gasse leuchtete. Er richtete den Strahl auf ein schwarzes Kabel, das knapp über den Markisen verlief.
Nach ein paar Hundert Metern kamen sie an eine Steinmauer, auf der das Kabel an einer runden Tafel vorbeigeführt war. Eine Gruppe von Männern in braunen Gewändern und Sandalen hatte sich um die Tafel geschart, die mit der römischen Zahl I versehen war. David erkannte auch diesen Ort wieder – es war der Beginn der Via Dolorosa, die erste Station des Kreuzwegs, wo Pontius Pilatus Jesus zum Tod verurteilt hatte. Die braun gewandeten Männer waren christliche Pilger, die sich jeden Abend an dieser Stelle versammelten, um das Leiden Christi nachzuspielen, indem sie feierlich durch die Via Dolorosa gingen, bis sie das berühmte Heilige Grab in der Grabeskirche erreichten. Mehrere Pilger trugen große Holzkreuze, die sie auf den Schultern balancierten. Andere trugen realistisch aussehende Dornenkronen und lasen laut aus der Bibel vor. Es waren so viele Pilger, dass sie die Gasse blockierten und den Fußgängerverkehr zum Erliegen brachten.
Aryeh drängte sich durch die Menge, wobei er die Taschenlampe auf das Kabel gerichtet hielt. Er schaute David und Monique über die Schulter an. »Der Verteilerkasten hängt dort drüben«, sagte er und zeigte auf ein Metallschränkchen, das ein paar Meter weiter an der Mauer befestigt war. »Ich muss ihn öffnen, um zu sehen, wohin die Leitung drei-siebzehn geht. Das kann ein paar Minuten dauern. Ich muss an all diesen verrückten Goyim vorbei.«
Während Aryeh sich einen Weg zu dem Verteilerkasten bahnte, warf David einen Blick auf Monique. Sie stand mit dem Rücken zur Mauer und musterte die Menge. Die Pilger machten sie offenbar nervös. Viele von ihnen schienen von ihren Gefühlen überwältigt zu sein. Einige knieten auf den Pflastersteinen, riefen Bibelworte aus und weinten untröstlich. Einer der Pilger, die ein Kreuz trugen, warf sich auf den Boden und traf Monique beinahe mit dem unteren Ende seines riesigen Kruzifixes. Sie stieß einen Schrei aus und sprang zur Seite. »Herrgott!«, rief sie. »Pass auf, wo du dich hinwirfst!«
Der Pilger, dessen dunkles, mit Bartstoppeln bedecktes Gesicht tränenüberströmt war, antwortete ihr nicht. Er erhob sich nur schwankend und schleppte sich weiter durch die Gasse. Monique starrte ihm finster hinterher.
David lächelte und versuchte sie aufzuheitern. »Ich glaube, der Herrgott hat dich nicht gehört.«
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