Crashkurs
machen, wo kann man noch ein Unternehmen ausquetschen?
Längst gibt es nicht mehr genug »Realwirtschaft«, um all die neu geschaffenen Geldmengen zu beschäftigen. Also beschäftigen sie sich mit sich selbst, werden mehr und mehr zum Selbstzweck. An die Stelle von Investitionen in die reale Wirtschaft treten Wetten, die die Zocker untereinander und gegeneinander abschließen. Diese Wetten werden »Derivate« genannt. Die Basis dafür sind Elemente aus der Realwirtschaft. Gewettet wird auf eine bestimmte Zinsentwicklung, ein Steigen oder Fallen der Aktienmärkte oder auf den Reispreis. Jedoch haben diese Wetten verheerende Dimensionen und Auswirkungen; fast ist es wie in dem Song von Chris de Burgh, in dem der Teufel und Gott sich gegenübersitzen und um die Seelen der Menschen pokern. Das Volumen dieser Wetten betrug Ende 2007 596 Billionen US-Dollar! Fünfhundertsechsundneunzigtausend Milliarden! Das entspricht dem Elffachen aller weltweit produzierten Waren und Dienstleistungen.
Der amerikanische Investor Warren Buffett hat die Derivate als finanzielle »Massenvernichtungswaffen« bezeichnet, die möglicherweise tödliche Gefahren beinhalten.
Den größten Teil dieser Wetten haben relativ wenige große Finanzinstitute gegeneinander und noch dazu größtenteils auf Kredit abgeschlossen. Wenn auch nur einer dieser Zocker pleitegeht, brechen alle anderen Spieler wie auf einem riesigen Dominospielfeld zusammen. Die Welt blickte schon einmal in diesen Abgrund. Der hieß LTCM, ein US-Hedgefonds mit dem Namen »Long-Term Capital Management« (wörtlich: langfristiges Kapitalmanagement). Sehr langfristig war sein Erfolg allerdings nicht: 1994 gegründet; 1997 erhielten mit Myron Samuel Scholes und Robert C. Merton zwei seiner Direktoren den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften – und 1998 brach der Fonds zusammen … Dafür gab es dann aber keinen Nobelpreis mehr. Es ging um Wetten in Höhe von 1,2 Billionen US-Dollar. Als Folge der drohenden Zahlungsunfähigkeit von LTCM wurde eine Kettenreaktion bis hin zu einem Zusammenbruch der amerikanischen und weltweiten Finanzmärkte befürchtet. Die US-Zentralbank senkte die Zinsen, und ein Team aus vierzehn internationalen Finanzinstituten rettete unter Aufbringung aller Kräfte die Welt vor der wirtschaftlichen Kernschmelze. Zu ihnen zählten auch die Deutsche Bank, GoldmanSachs, JPMorgan, Merrill Lynch, Morgan Stanley und UBS. Kommen Ihnen diese Namen aus den aktuellen Krisenberichten vertraut vor? Ob diese Unternehmen, die momentan selbst mit größten Problemen zu kämpfen haben, in der Lage wären, heute noch einmal so einen Kraftakt zu vollbringen? 1998 ging es um 1,2 Billionen US-Dollar. Der Gesamtmarkt heute beträgt geschätzte 600 Billionen. Es steht zu befürchten, dass Warren Buffetts Worte noch grausame Aktualität erfahren werden.
Die Finanzwelt hat sich also längst zu großen Teilen von der realen Wirtschaft abgekoppelt. Anstatt die Realwirtschaft zu unterstützen und zu fördern, wird sie deren größte Bedrohung. Ein Kollaps des Finanzsystems würde die Realwirtschaft mit in den Abgrund reißen. Einen Vorgeschmack haben wir im Herbst 2008 bekommen, als offenbar wurde, wie Verwerfungen innerhalb des Finanzsystems direkt auf die reale Wirtschaft und ihre wichtigsten Komponenten, nämlich die Menschen, durchschlagen.
Der Mittelständler, der bei der Förderbank anklopft, weil er Geld für eine Erweiterung seiner Backstube braucht, bekommt zu hören: »Tut uns leid, wir können Ihnen kein Geld leihen, wir haben alles im amerikanischen Kasino verzockt.«
Auch für den ganz normalen Bürger hat dieses Abkoppeln der Finanzwelt Konsequenzen. Er wird von der Kapitalindustrie immer weniger beachtet. Sehen Sie sich die Produkte an, die Tag für Tag in den Medien beworben werden. Die angebliche Zielgruppe: der private Anleger. Also Sie! Einen Großteil der Berichterstattung nimmt die Zertifikateindustrie ein. Man könnte auch sagen: die Buchmacher. Denn diese Zertifikate sind in der Regel ebenfalls nichts anderes als Wetten. Wenn Sie ein Zertifikat erwerben, beteiligen Sie sich nicht wie mit einer Aktie an einem Unternehmen. Wenn Sie eine Daimler-Aktie kaufen, gehört Ihnen ein kleiner Teil von Daimler. Sie dürfen sogar mitbestimmen, was in diesem Unternehmen passiert, da Sie als Aktionär ein Stimmrecht haben und auf der Hauptversammlung über wichtige Entscheidungen bis hin zur Abwahl des Vorstandes mitentscheiden können. Nicht so bei einem Zertifikat. Das
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