Crashkurs
Unternehmens dieser Erde und nicht zuletzt über Aufstieg und Untergang ganzer Regierungen und Staaten.
Stellen wir uns doch mal folgende Szene vor: Ein mittelgroßer lateinamerikanischer Staat trifft politische Entscheidungen, die den Hintermännern der Ratingagenturen nicht gefallen. Was tun? Ein Team einer solchen Agentur wird sich kurzfristig anmelden, um die Bonität dieses Staates zu überprüfen. Dann werden bei den Überprüfungen Sachverhalte festgestellt, die das bisher gute Rating als nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lassen. Die Agentur ist bedauerlicherweise gezwungen, das Rating herabzusetzen. Tja, leider wird das dazu führen, dass die Finanzierungskosten dieses Staates sofort um etliche Milliarden Dollar ansteigen oder im schlimmsten Fall der Staatsbankrott droht. Sollte dieser Staat jedoch die eine oder andere falsche Entscheidung aus der Vergangenheit korrigieren, wäre das bislang gültige Rating durchaus noch zu rechtfertigen. Also würde sich dieser Staat natürlich genau überlegen, wie viele Milliarden ihm seine bei den Ratingagenturen unpopulären Entscheidungen wert sind. Natürlich ist das eine rein hypothetische Überlegung, denn die Ratingagenturen sind ja absolut neutral … Oder?
Ich habe bei meinen vielen Gesprächen zu diesem Thema im vergangenen Jahr nicht ein einziges Mitglied der Finanzwelt getroffen, das wusste, wer hinter den Ratingagenturen steckt oder wem sie gehören. Unglaublich: Sie bestimmen über die Finanzwelt dieser Erde, und keiner scheint sich je gefragt zu haben, wieso deren Urteil als göttlich neutral gilt! Also habe ich ein wenig recherchiert.
Nun, die Ratingagenturen sind keineswegs staatliche Organisationen, die etwa den Vereinten Nationen, dem Internationalen Währungsfond (IWF) oder der Bahnhofsmission unterstehen. Es sind ganz normale Firmen, die einzig und allein dem Profit und ihren Aktionären verpflichtet sind.
Um am amerikanischen Finanzmarkt – dem noch immer bedeutendsten Kapitalmarkt der Welt – zugelassen zu werden, muss sich jedes Unternehmen und jeder Staat von mindestens zwei Ratingagenturen bewerten lassen. Was schätzen Sie, wie viele (ernstzunehmende) zugelassene Ratingagenturen es in den USA gibt? Ganze drei: Moody’s (USA), Standard & Poor’s (USA) und Fitch (GB). Diese drei Agenturen haben einen Marktanteil von 93 Prozent. Wenn das kein Quasi-Monopol ist, ist der russische Energieriese Gazprom ein Wohltätigkeitsverein.
Natürlich hat jede Firma auch einen Besitzer, und der entscheidet für gewöhnlich, was passiert. Schauen wir uns doch einmal die Besitzverhältnisse dieser drei mächtigen Unternehmen an. Zunächst einmal Moody’s: Zugegeben, mir ist bei den Recherchen hierzu selbst der Kiefer aufgeklappt. Größter Aktionär von Moody’s ist mit über 18 Prozent (Stand: März 2008) Berkshire Hathaway, ein amerikanisches Holdingunternehmen, das von niemand Geringerem geleitet wird als von Warren Buffett, einem der erfolgreichsten Investoren der Welt und laut Forbes seit 2008 der reichste Mann der Welt. Zweitgrößter Aktionär mit über 7 Prozent ist Davis Advisors – einer der erfolgreichsten familiengeführten Fonds der USA. Seit fünf Jahrzehnten schlagen die Investments der Familie Davis (die im Übrigen eng mit der Bank of New York verwoben ist) alle Wallstreet-Helden um Längen. Die Treffsicherheit der Entscheidungen von Davis ist legendär. Schlussfolgerung: Es scheint kein Schaden zu sein, bestimmender Eigner einer Firma zu sein, die tiefer in die Bücher aller großen Unternehmen dieser Erde blickt als jeder andere. Als weitere große Aktionäre begegnen uns die Bank Barclays London und Goldman Sachs. Goldman Sachs ist zunächst – bis zum Sommer 2008 – nahezu ungeschoren durch die Kreditkrise gekommen, da das Unternehmen frühzeitig auf genau diese kommende Finanzkrise gewettet hatte.
Noch spannender wird es beim Blick in die Besitzverhältnisse von Standard & Poor’s. S&P gehört zum McGraw-Hill-Konzern. Die drei Hauptgeschäftsfelder dieses Konzerns bestehen aus so harmlos klingenden Fachbereichen wie »Bildung«, »Finanzdienste« und »Information und Medien«. Welche Machtfülle sich daraus ergibt, lässt sich kaum erahnen. McGraw-Hill ist einer der größten Herausgeber von Lehrbüchern in den USA und bestimmt somit nicht unwesentlich darüber, was als gut und richtig an amerikanischen Schulen und Universitäten gelehrt wird. Gleichzeitig ist der Konzern der Herausgeber eines der verbreitetsten
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