Creepers - Der Fluch der Hexe
wie der Mann und das Mädchen den Friedhof betraten. Ein alter schwarzer Eisenzaun umgab den gesamten Friedhof, mit Ausnahme der Mauer, die die Grenze zu unserem Grundstück bildete. Schmiedeeiserne Girlanden aus Eicheln und Früchten schmückten die einzelnen Zaunstreben, und mehrere Tore boten Zutritt zu den diversen Spazierwegen, die den Friedhof durchzogen. Ich hörte, wie eines der eisernen Tore zuschlug, und sah, dass der Mann und das Mädchen den Friedhof durch ein Tor betreten hatten, das nur wenige hundert Meter von unserer Einfahrt entfernt zur Straße hin gelegen war. Ich blinzelte der Sonne entgegen, um die beiden besser erkennen zu können. Der Mann hielt etwas in der Hand, das wie ein Stapel Prospekte aussah.
Ich vermutete, dass er eine dieser Friedhofsführungen leiten würde, von denen meine Mutter in der Touristeninformation von Murmur gelesen hatte. Mom war total begeistert gewesen, als sie erfahren hatte, dass dies einer der ältesten Friedhöfe des Landes war und es Führungen gab, bei denen einem die alten puritanischen Gravuren auf den Grabsteinen gezeigt wurden. Der Mann sah auf die Uhr und tippte dem Mädchen auf die Schulter. Sie gingen langsam einen Weg hinunter, der zu einer Gruppe von Grabsteinen führte, die nicht weit von unserer Mauer entfernt waren.
Normalerweise hätte ich nicht so lange hingestarrt. Ich bin eigentlich nicht unhöflich, und meine Mutter wäre entsetzt gewesen, aber ich war wie hypnotisiert von dem Mann und dem Mädchen – und dem Efeu. Sie kamen mir plötzlich wie ein Dreiergespann vor. Der Efeu rührte sich nun nicht mehr. Er schien vielmehr den Atem anzuhalten, als sich die beiden näherten. Sie waren die einzigen Lebewesen auf dem Friedhof.
Nur etwa hundert Meter von mir entfernt blieben sie stehen. Als der Mann gerade vor einem der Grabsteine niederknien wollte, bemerkte er mich und winkte mir freundlich zu. Anscheinend kam es ihm überhaupt nicht komisch vor, dass da ein Mädchen im Schneidersitz auf der Friedhofsmauer saß.
Der Mann war vermutlich um einiges älter als mein Vater, der Mitte dreißig ist. Sein Haar war relativ grau, und er hatte eine dieser großen, schwarz gerahmten Brillen auf, mit denen die Augen immer so komisch zeichentrickmäßig aussehen. Er trug ein altmodisches Karohemd mit kurzen Ärmeln und dazu Jeans und schwarze Schuhe.
Dann blickte sie mir geradewegs in die Augen. Sie starrte mich einfach nur an, bis ich völlig dämlich zurückwinkte. Daraufhin wandte sie sich ab, als wäre ich unsichtbar.
Das Mädchen schien ungefähr in meinem Alter zu sein, aber äußerlich war sie das totale Gegenteil von mir. Ihre Haut war sehr blass, so als würde sie nie bei Sonnenschein hinausgehen. Und sie hatte sehr dunkles, fast schon schwarzes Haar,das ihr in geflochtenen Zöpfen wie zwei dicke, schwere Taue den Rücken herunterhing. Ich konnte ihre Augenfarbe nicht erkennen, aber ich konnte sehen, dass ihre Augen im Verhältnis zu ihrem Gesicht außergewöhnlich groß erschienen. Sie war dünn und sah beinahe zerbrechlich aus – wie eine dieser Porzellanfiguren, die man in Vitrinen stellt. Vielleicht war es auch ihre langsame und vorsichtige Art sich zu bewegen, die sie so zart erscheinen ließ. Der Mann legte einen Arm um das Mädchen, während er sich die Prospekte unter den anderen Arm klemmte. Er zog sie spielerisch zu sich heran. Ich kam zu dem Schluss, dass die beiden Großvater und Enkelin sein mussten, ihrem nachsichtigen und seinem erwartungsvollen Ausdruck nach zu urteilen. Vielleicht besuchten sie ja das Grab ihrer Großmutter.
In diesem Moment sah ich weg, weil ich das Gefühl hatte, mich in eine intime Familiensituation hineinzudrängen. Selbst mir wurde es irgendwann peinlich, die beiden von meinem Sitzplatz auf der Mauer aus derart anzustarren. Was hatte dieses Murmur, Massachusetts, nur an sich, dass ich mich plötzlich so seltsam fühlte und benahm?
Als meine Mutter mir erzählte, dass wir in dieses Haus hier ziehen würden, machte sie mit mir eine kleine Spritztour, um es mir stolz zu präsentieren. Sie meinte, sie wäre sich absolut sicher, dass ich es auf Anhieb lieben würde. Das große, graue Natursteinhaus hat drei Stockwerke, zumindest, wenn man den Keller mitrechnet, der nur teilweise unter der Erde liegt. Es wurde 1719 erbaut und sieht aus wie viele alte Häuser in Neuengland. Jedes Zimmer hat große, bleigefasste Fenster. Das Dach neigt sich elegant über die dreieckigen Giebel, und es gibt zwei riesige
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