Creepers - Der Fluch der Hexe
Ende der Gruppe. Mom richtete den Blick zum Himmel, die Stirn skeptisch gerunzelt. Hatte sie etwa ein Donnern gehört? Besorgt betrachtete ich den Himmel und entdeckte in der Ferne einige schwarze Wolken. Bleibt bloß weg , befahl ich ihnen.
Nach ein paar Minuten verließen Margaret und ich unseren Posten und stellten uns auf die andere Seite des Friedhofsportals. Wir wollten mitverfolgen, wo Mr. Geyer gerade langging. Aus der momentanen Entfernung – obwohl er eigentlich nie weit weg war – konnten wir seine dramatischen Gesten gut erkennen und sehen, wenn er sich hinhockte, um einen der Grabsteine näher zu betrachten. Er nahm sogar seinen Hut ab, um der Menge mit einer ausladenden Geste zu zeigen, in welcher Richtung das nächste Grab lag. Mom und Dad flüsterten am Rand der Gruppe miteinander und nickten ab und zu. Ich war erleichtert, dass die Leute so interessiert aussahen. Vielevon ihnen legten den Kopf schräg, wenn Mr. Geyer redete, oder hoben die Hand, wenn er eine Pause machte.
»Was für ein Schauspieler«, kommentierte Margaret trocken.
Wir fühlten uns beide toll, obwohl die Sonne von fetten schwarzen Wolken verschlungen wurde und ein metallischer Geruch von Regen in der Luft hing. Eigentlich hatte der fehlende Sonnenschein sogar etwas Gutes. Wenigstens wurden die Leute, während sie über den Friedhof trotteten, nicht in der Hitze gebraten. Hauptsache, es fing nicht an zu regnen. Mr. Geyer war voller Energie, und die Leute drängten sich um ihn herum, um ja kein Bröckchen an Information zu verpassen. Ich stellte begeistert fest, dass Mom und Dad ebenfalls gefesselt waren. Mom saugte geschichtliche Informationen immer auf wie ein Schwamm, und außerdem arbeitete sie gerade an diesem Artikel, aber Dad war ziemlich skeptisch, was solche Protestaktionen anging, weil er meinte, man würde nie die ganze Wahrheit erfahren. Und doch stand er dort neben Mom und nickte Mr. Geyer jedes Mal aufmunternd zu, wenn er glaubte, dass er in seine Richtung schaute. Dads Nicken sah aus, als wäre er der engste Vertraute des Puritaners.
Margaret holte den Friedhofsplan hervor, den Mr. Geyer uns gestern Abend gezeigt hatte und auf dem der Rundgang mit den Stationen der einzelnen Gräber eingezeichnet war. »Sieht aus, als würde er jetzt zu dem Grab des toten Kapitäns gehen. Das ist einer meiner Lieblingssteine«, setzte sie wehmütig hinzu.
Ich hätte beinahe laut gelacht, weil ich mich gut fühlte und weil es so witzig klang – Margaret und ihr Lieblingsgrabstein –, aber in dem Moment wurde ich von einem warmen Windhauch abgelenkt, der mir mein Haar um die Schultern wehen ließ. Ich wandte mich dem Wind zu.
Sprachlos starrte ich Prudence’ Grab an, während mir der Wind geradewegs ins Gesicht blies. Niemand befand sich im westlichen Teil des Friedhofs, da Mr. Geyer sich auf die Grabstellen im Norden und Osten konzentrierte. Alles schien ruhig. Aber als ich länger hinstarrte, bemerkte ich, dass sich entlang der Mauer zu unserem Grundstück etwas bewegte. Zuerst war es keine richtige Bewegung, eher ein Flimmern über und vor der Mauer. Vielleicht war es einfach nur die aufsteigende Hitze, die Gegenstände manchmal flatternd und verzerrt erscheinen ließ, wenn man sie aus der Entfernung betrachtete. Aber die Sonne schien doch überhaupt nicht.
In dem Moment begriff ich, was ich da sah, und mein Magen verkrampfte sich. Es war der Efeu. Der Efeu ergoss sich über die steinerne Mauer. Seine Stränge schoben sich in breiten Bündeln vorwärts, wie ein blubbernder Bach von Ranken. Der Efeu bahnte sich einen Weg aus fieberhaft wucherndem Grün, ausgehend von unserem Haus in Richtung eines Ziels, das sich im westlichen Teil des Friedhofs zwischen den Grabsteinen und Bäumen befand.
Ich packte Margaret am Arm, um ihre Aufmerksamkeitvon dem Friedhofsplan abzulenken. »Margaret«, flüsterte ich, als könne der Efeu mich hören, »sieh mal, die Mauer. Siehst du den Efeu?«
Margaret schnappte nach Luft und ließ den Plan fallen. »Courtney, er will zu Prudence’ Grab.«
Seine Ranken wimmelten über den Boden und legten sich auf Prudence’ Grabstein. Die Unmengen von zitternden Blättern erinnerten mich an Bienen auf einem Bienenkorb.
»Was macht er da?«, fragte ich. »Warum versteckt der Efeu ihren Grabstein?« Ich wandte den Blick in die andere Richtung, um zu sehen, wo Mr. Geyer sich gerade mit der Gruppe befand. Sie waren mehrere Hundert Meter in nordöstlicher Richtung von uns entfernt. Niemand bemerkte den
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