Creepers - Der Fluch der Hexe
Er nahm die Brille ab, um sie an einer Serviette zu säubern, undsetzte sie rasch wieder auf, als wolle er unbedingt Moms und Dads Reaktion sehen.
Moms Augen weiteten sich. Sie blickte Dad an, der sich gegen die Arbeitsplatte gelehnt hatte und in seine Tasse pustete. Sein kurzes rotes Haar sah stachelig aus, nachdem er es ordentlich abgerubbelt hatte. Normalerweise hätte ich mich über sein Aussehen lustig gemacht, aber nicht heute. Dad ließ die Tasse langsam sinken und stellte sie neben sich ab.
»Wie meinst du das?«, fragte er. Seine Augenbrauen runzelten sich, wie sie es immer tun, wenn er glaubt, dass ihm jemand etwas weismachen will.
»Warum setzt du dich nicht zu uns, Tom?«, schlug Mr. Geyer vor. Seine Stimme war so warm wie die heiße Schokolade. »Ich würde dir und Jen gern ein bisschen mehr darüber erzählen, wie ich und meine Tochter mit dem Friedhof in Verbindung stehen.« Er sah Margaret an und lächelte beruhigend. »Obwohl wir euch erst seit kurzer Zeit kennen, seid ihr uns gute Freunde geworden.«
Margaret und ich tauschten einen fragenden Blick aus. Ich überlegte, ob Mr. Geyer den Efeu oder die Hexe womöglich doch gesehen hatte.
Dad schnappte sich die Tasse und setzte sich neben Mom. Sie tätschelte sein Knie, während sie sprach. »Worum geht es, Christian? Was möchtest du uns noch erzählen?« Sie legteden Kopf schräg, aufrichtig interessiert. Ihr Blick ging hinüber zu dem Notizblock auf der Arbeitsplatte, aber sie blieb sitzen.
Mr. Geyer erzählte ihnen nicht alles, aber er erzählte ihnen genug. Er erzählte von Prudence und ihrem verschwundenen Leichnam, von Christians Tagebuch und seinem Bestreben, seine Tochter ins Leben zurückzuholen. Und er erzählte ihnen von dem Efeu, der sich gestern Abend vor unseren Füßen in den Kellerboden gemeißelt hatte. Mom und Dad warfen mir einen vielsagenden Blick zu, aber sie ließen Mr. Geyer weiterreden.
»Als Christian starb«, beendete er seine Erzählung, »wurde jenes Bestreben all seinen Nachfahren zum Vermächtnis – mit einem entscheidenden Unterschied. Wir wissen, dass wir Prudence nicht ins Leben zurückholen können. Es wäre …«, er kniff hinter seinen Brillengläsern die Augen zusammen, so als würde ihm der Gedanke Schmerzen bereiten, »… Frevel, es auch nur zu versuchen, und obendrein sinnlos, denn Christian ist tot. Dennoch ist es unsere Aufgabe, Vater und Tochter wiederzuvereinen – nicht im Leben, sondern im Tod.« Mr. Geyer schwieg, um die Information sacken zu lassen. Mom und Dad starrten ihn fassungslos an. Er räusperte sich, um fortzufahren. »Seine Nachfahren haben den Auftrag, die beiden Seite an Seite zu beerdigen. Erst dann werden Christian und Prudence in Frieden ruhen, und ihre Nachfahren können ihr eigenes Leben leben.«
Einen Moment lang herrschte unangenehme Stille, dann platzte Dad heraus: »Das soll doch wohl ein Witz sein, oder, Christian?« Er gab sich Mühe zu lachen. »Das ist wirklich eine hübsche Schauergeschichte, aber ich glaube nicht, dass ihr das nötig habt. Eure ganze Aktion – die historischen Informationen über den Friedhof und die Stadt Murmur, die Geschichten über die Steinmetze und über diejenigen, für die sie ihre Steine angefertigt haben –, das ist mehr als ausreichend. Ihr wollt die Leute doch nicht mit einer solchen Geschichte verschrecken. Sie werden sicher denken, das klingt ziemlich …«
»Weit hergeholt?«, unterbrach ihn Mr. Geyer. Seine Stimme klang mit einem Mal erschöpft. Margaret rutschte mit ihrem Stuhl näher an Mr. Geyer heran. Ihre grünen Augen wirkten streng. Sie sah meinen Vater scharf an.
»Diese Schauergeschichte ist nicht Teil unserer Aktion, Tom. Ich hatte das Gefühl, dir und Jennifer für die jüngsten Ereignisse eine Erklärung zu schulden.« Mr. Geyer hob das Kinn, genau wie Margaret es immer tat, wenn sie sich angegriffen fühlte. »Es wäre nicht richtig von mir, euch unser Geheimnis vorzuenthalten. Nicht, wenn ich euch als unsere Freunde bezeichne.«
Margaret stand abrupt auf. »Ich will nach Hause«, erklärte sie schlicht. Sie zitterte am ganzen Körper.
»Wartet!«, rief ich, während ich meinen Stuhl zurückschob, um mich an ihre Seite zu stellen. »Wenn ihr Mr. Geyer schonnicht glauben wollt, warum geht ihr dann nicht selbst in den Keller und seht euch den Efeu an!« Ich war mir nicht sicher, ob ich eher wütend oder hysterisch klang. Ich wollte nicht, dass meine Eltern Margaret oder Mr. Geyer wehtaten.
Mom stand als Nächstes auf.
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