Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: corley
Vom Netzwerk:
Dave hatte sich um alles gekümmert, und sie war zu verängstigt gewesen, um sich ihm zu widersetzen.
    Der »Arzt« hatte in einer verwahrlosten Gegend von Birmingham gearbeitet, in einem Reihenhaus, in dem der Geruch von Bleichmittel den widerlichen Gestank von irgendwas Organischem nicht überdecken konnte. Sein Atem hatte nach Zwiebeln gerochen, aber seine Hände waren sauber gewesen, und er hatte sich bemüht, ihr nicht wehzutun. Als sie nach Hause gekommen war, von Schmerzen geschüttelt, hatte sie eine riesige Binde zwischen den Beinen gehabt. Sie hatte gesagte, dass sie nicht in die Schule gehen könne, und ihre Mum hatte nur gemeint, »ganz wie du willst«. Drei Tage lang war sie im Haus geblieben, bis die Blutung und die Schmerzen nachließen.
    Wendy nahm ihre Taschen und schloss die Wohnung ab.
    Sie konnte sich nicht erklären, warum sie in letzter Zeit so oft an die Vergangenheit dachte, die normalerweise sicher hinter einer dicken Wand aus Verdrängung und Verleugnung versteckt war. Aber in den letzten Tagen, während ihrer Grippe, waren vor ihrem geistigen Auge ständig irgendwelche Szenen aus ihrer Jugend abgelaufen.
    Es war ein kurzes Stück mit dem Auto bis zur Post, und eine Zweigstelle ihrer Bank war nur zweihundert Meter entfernt. Es waren zwei Briefe von Wayne gekommen. Als sie am Geldautomaten den Höchstbetrag ziehen wollte, wurde ihre Karte einfach einbehalten, deshalb musste sie in die Bank gehen und einen Scheck einlösen. Gegenüber war ein Se-515

    condhand-Laden, und sie blieb kurz stehen, um sich die Aus-lagen anzuschauen. Durch das gleißende Sonnenlicht spiegelte sie sich in der Scheibe, und sie musste sich vorbeugen, um die Kleider sehen zu können.
    Als sie wieder zurücktrat, bemerkte sie das Spiegelbild einer Frau, die auf der anderen Straßenseite stand. Sie hatte nichts Auffälliges an sich, aber irgendwas an der Art, wie sie dastand, machte Wendy misstrauisch. Unter dem Vorwand, sich das Schaufenster weiter anzusehen, betrachtete sie das Spiegelbild der Frau, prägte sich das Gesicht und die Kleidung ein. Sie ging ein paar Schritte die Straße hinunter und blieb vor einem anderen Schaufenster stehen. Die Frau überquerte die Straße und folgte ihr. Als Wendy stehen blieb, tat sie es auch, bückte sich, um sich die Turnschuhe zuzubinden, die gar nicht offen gewesen waren.
    Wendys Instinkte, durch jahrelangen Missbrauch und Überlebenskampf geschärft, signalisierten Alarm. Sie hatte nichts Unrechtes getan, aber das machte sie nicht sorglos.
    Nicht weit von der Stelle, wo sie ihr Auto geparkt hatte, war ein kleiner Supermarkt. Wendy beschleunigte ihren Schritt, schaute auf die Uhr, als habe sie es eilig, und hastete zu dem Laden. Drinnen ging sie bis ganz hinten zur Kühlthe-ke und nahm die Schinkenpackungen in Augenschein. Die Frau folgte ihr nicht, sondern blieb draußen auf dem Bürgersteig. Als sie sich einmal abwandte, huschte Wendy zum Hin-terausgang hinaus.
    Niemand hielt sie auf. Draußen war ein Hof mit einem Tor, das auf die Straße führte. Sie stieß es auf und stand auf einer ihr unbekannten Straße mit Reihenhäusern. Ihr Herz raste. Sie war kurz davor, in Panik zu geraten, und zwang sich, tief durchzuatmen und nachzudenken. Sie rief sich die Vorderseite des Supermarktes in Erinnerung, die Straßen, die 516

    sie kannte, und die Stelle, wo ihr Auto stand. Sie musste rechts runter gehen und dann noch einmal nach rechts.
    Der Wagen war da, wo sie ihn geparkt hatte, ein hell-blauer, dreitüriger Peugeot, dem man sein Alter allmählich ansah. Ihre Hände zitterten so heftig, dass sie Probleme hatte, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken. Beim dritten Versuch glitt er hinein, und der Motor sprang sofort an.
    Sie warf einen Blick in den Rückspiegel und fuhr los. Erst als sie Birmingham hinter sich gelassen hatte, wurde ihr klar, dass sie doch einfach hätte aufgeben können. Diese Formulie-rung überraschte sie, aber sie schien passend. Wenn sie die Frau einfach angesprochen hätte, wäre jetzt alles vorbei. Sie wüsste Bescheid, so oder so; vielleicht waren ihre Ängste nur die Folge einer überreizten Phantasie. Vielleicht quälte sie sich wegen nichts und wieder nichts. Ein Anruf bei der Polizei könnte alles klären. Sie hatte die Telefonnummer von Crimewatch auswendig gelernt, aber alle Männer in der Sen-dung hatten so streng und unnachgiebig ausgesehen. Wenn eine Frau zuständig gewesen wäre, hätte sie angerufen. Und selbst jetzt müsste sie eigentlich nur

Weitere Kostenlose Bücher