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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: corley
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beiden liefen davon. Sie hoffte, dass sie ihnen keine Angst eingejagt hatte.
    Es war kalt im dunkler werdenden Schatten des Baumes, und Nightingale fröstelte, als sie versuchte aufzustehen, langsam, wie eine alte Frau.

    »Daddy! Daddy! Komm schnell. Da sitzt eine Frau unter unserem Baum, die ist ganz traurig und weint.«
    Ausgerechnet, dachte Fenwick. Seit der Beerdigung hatten die Kinder ein beunruhigendes Kleinkindverhalten angenommen. Bei Tisch benahmen sie sich schlecht, bestanden darauf, dass er ihnen beim Zubettgehen lange etwas vorlas und dass nachts eine Lampe brannte. Wenn sie sich nicht zankten, bekamen sie bei den albernsten Dingen Lachanfälle.
    Sie wollten nicht über den Tod ihrer Mutter sprechen und funkelten ihn wütend an, wenn er das Thema ansprach. Er hatte gehofft, ein Spaziergang zu einem ihrer Lieblingsplätze würde für eine positive Stimmung sorgen und sie alle einander wieder näher bringen.
    Er war zuversichtlich gewesen, dass sein Plan aufgehen würde. Die Mauer, die er um Chris und Bess hatte wachsen sehen, war rissig geworden, als sie wieder über die vertrauten Waldwege spazierten und durch einst sprudelnde Bäche wa-teten, die jetzt fast ausgetrocknet waren. Er war geneigt, sich nicht weiter um die Frau zu kümmern. Das Leben war 78

    kompliziert, und es war hart. Nach manchen Tiefschlägen tat es gut, sich richtig auszuweinen. Dabei waren die meisten lieber allein, und sie wäre bestimmt nicht erfreut, wenn er sie dabei störte.
    »Los, komm, Daddy.« Bess’ Besorgnis versetzte ihm einen Stich. Er fühlte sich mies. Sie erwartete, dass er den normalen Anstand zeigte und sich um einen Menschen in Not kümmerte. Wie hatte er auch nur mit dem Gedanken spielen können, einfach weiterzugehen?
    »Wo lang?«
    »Hier.« Chris rannte voraus, sodass Fenwick und Bess laufen mussten, um mitzuhalten.
    Die Frau war praktisch noch ein Mädchen: dünn, schmutzig, verschwitzt, in Sportsachen, die voller Sand und Laub waren. Fenwick fragte sich, ob sie gestürzt war, und ging zu ihr, als sie versuchte, sich aufzurappeln. Sie zuckte zusammen, als sein Schatten auf sie fiel, und blickte mit verzweifelten, blauen Augen auf. Da erst sah er, dass es Nightingale war.
    Er starrte sie erschrocken an, entsetzt über die schreckliche Traurigkeit, die er so schutzlos in ihrem blassen Gesicht sah.
    Sie wandte den Kopf ab, aber ihre Miene zeigte keine Spur von Erkennen. Sie hatte offenbar nicht begriffen, wer da vor ihr stand. Er fühlte mit ihr. Es war nicht richtig. Es würde ihr gar nicht gefallen, dass er sich einmischte.
    »Nightingale.« Seine Stimme war leise, aber sie fuhr so heftig zusammen, als wäre sie von einer der Giftschlangen gebissen worden, vor denen er die Kinder immer warnte.
    »Oh nein!« Es war ein trostloses Wimmern, und er wusste nicht, was er sagen sollte. Er stand da, die Hände nutzlos he-rabhängend.
    »Warum sind Sie so traurig?« Bess war frei von seinen Hemmungen.

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    »Es ist alles in Ordnung«, flüsterte Nightingale.
    »Aber warum weinen Sie dann?« Bess sah sie genauer an und merkte auf.
    »Ich kenne Sie. Sie sind die Polizistin, die letztes Jahr mal bei uns war. Daddy«, Bess wandte sich vorwurfsvoll an ihn,
    »sie weint doch nicht, weil du böse zu ihr warst, oder?«
    Aus irgendeinem Grund lösten die Worte seiner Tochter wieder ein heftiges Schluchzen bei Nightingale aus, so heftig, dass ihre Schultern bebten.
    »He«, Fenwick beugte sich vor und legte ihr unbeholfen einen Arm um die Schultern. »Du meine Güte, Sie frieren ja. Sie holen sich noch den Tod. Hier«, er nahm den Pullover, den er sich umgelegt hatte, und streifte ihn ihr vorsichtig über den Kopf. Er bugsierte ihre Arme in die Ärmel, und sie drückte die Wolle an sich. »Kommen Sie, ich fahr Sie nach Hause.«
    »Nein.« Er konnte sie kaum verstehen. »Ich bin selbst mit dem Wagen da. Bitte«, sie blickte ihm nicht in die Augen, aber er spürte, wie eindringlich sie ihn anflehte, »es wäre besser, Sie lassen mich allein.«
    »Dann bringe ich Sie wenigstens zu Ihrem Wagen. Wo steht er?«
    »Am Ende vom Devil’s Run.«
    »Das ist ja meilenweit weg. Sind Sie das alles gelaufen?« Er bemühte sich, nicht vorwurfsvoll zu klingen. »Sie müssen völlig erschöpft sein. Mein Auto steht auf einem Parkplatz nicht weit von hier. Wir fahren Sie zu Ihrem Wagen.«
    »Nein, ich …«
    »Müssen wir dann schon heim?« Chris hielt mit seiner Enttäuschung nicht hinterm Berg.
    »Chris.«
    »Da sehen Sie, es macht nur

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