Crescendo
versteckte, betrat sie das Zimmer, spürte, dass der Messergriff vom Schweiß ihrer Handfläche glitschig geworden war. Das Sofa stand da, wo es immer stand, direkt an der Wand. Blieben noch die Vorhän-ge an den beiden großen Fenstern. Eins ging nach Süden, das andere nach Westen. Die Vorhänge waren zugezogen. Hatte sie das am Morgen gemacht, damit das Zimmer kühl blieb?
Sie glaubte es nicht, und ihre Hände fingen an zu zittern. Es gelang ihr kaum, die Atmung zu kontrollieren, ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihr Herz pochte so rasend, dass ihr das Blut in den Ohren rauschte.
Nightingale nahm das Messer in die andere Hand und trocknete sich die Handfläche am T-Shirt ab, bevor sie den Griff noch fester umklammerte. Im Selbstverteidigungskurs hatte sie gelernt, sich entschlossen zu bewegen und nur dann eine Waffe zu tragen, wenn sie überzeugt war, sie auch richtig benutzen zu können. Sie holte tief und lautlos Luft und runzelte die Stirn. Welches Fenster? Wenn sie sich für das falsche entschied, würde sie dem Eindringling den Rücken zukehren.
Sie wollte sich eben für das Südfenster entscheiden, als der rechte Vorhang am Westfenster sich bewegte. Kaum merklich. Als sie blinzelte, hing der Stoff wieder reglos, doch ihre Entscheidung war gefallen. Sie rannte zu den Vorhängen und riss sie auf, die Messerhand erhoben.
Ein furchtbares Fauchen ertönte, und eine dicke schwarze 121
Katze fuhr zu ihr herum, machte einen Buckel und zischte wütend, genauso angriffsbereit, wie Nightingale es gewesen war. Die sprang vor Schreck zurück und überprüfte rasch, dass sich niemand hinter dem anderen Vorhang versteckte.
Die Katze beobachtete sie mit nacktem Hass, während ihre Krallen büschelweise Wolle aus dem cremefarbenen Teppichboden rissen.
Zunächst wusste Nightingale nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, dann merkte sie, dass sie beides tat. Wer auch immer ihr diesen Streich gespielt hatte, denn etwas anderes konnte es ja nicht sein, konnte unmöglich gewusst haben, dass sie als Kind panische Angst vor Katzen gehabt hatte, besonders vor schwarzen. Ihre Mutter hatte eine ganz ähnliche Katze wie diese da gehabt, ein bösartiges Vieh, das sie aus irgendeinem Grund nicht ausstehen konnte. Einmal hatte es ihr auf der Treppe aufgelauert und gewartet, bis sie darunter vorbeiging, um ihr dann mit eifersüchtigen Krallen die Kopfhaut aufzukratzen.
Das Tier musste weg. Solange es in der Wohnung war, würde sie keinen klaren Gedanken fassen können. Doch die Katze blickte selbstsicher zu ihr hoch, als würde sie sich schon ganz wie zu Hause fühlen. Ohne sie aus den Augen zu lassen, wich Nightingale zurück in die Diele, wo sie ihre Tasche abgestellt hatte. Sie öffnete den Verschluss und nahm das ein-gepackte Sandwich heraus, rümpfte die Nase, als sie den noch warmen Räucherlachs roch. Das Klicken von Krallen auf Holz ertönte, die Katze kam in die Diele stolziert, Nase und Schwanz zuckten im Takt. Nightingale warf ein Stück Lachs auf den Boden, und die Katze machte ein paar Schritte darauf zu. Mit großem Misstrauen beäugte sie Nightingale, die jetzt bis zur Wohnungstür zurückwich, um dem Tier mehr Platz zu geben. Die Katze ging in Angriffsstellung. Nightingale wartete in der Hoffnung, dass die Gier das Misstrauen besie-122
gen würde. Minuten vergingen, dann erbebte das Hinterteil und der Schwanz schnellte hin und her, genau wie damals bei dem Viech ihrer Mutter, wenn es Jagd auf junge Vögel machte. Wieder ein Beben, und die Katze stürzte sich auf den Leckerbissen.
Das Stück Lachs verschwand, und die Katze leckte die Stelle auf dem Fußboden ab, wo der Fisch gelegen hatte, bevor sie in Erwartung eines Nachschlags hochblickte. Nightingale öffnete die Wohnungstür und legte ein weiteres Stück Lachs draußen hin, dann ein drittes auf die oberste Treppenstufe, bevor sie das letzte nach unten auf den Treppenabsatz warf.
Die Katze lief zu dem zweiten Stück, schnappte es sich und wich aus, als Nightingale nach ihrem Hinterteil trat, es aber verfehlte. Die Katze lief trotzdem den Flur entlang, und Nig-tingale schlug die Tür zu. Durch den Spion beobachtete sie, wie die Katze sich umdrehte und auf die Tür blickte, bevor sie das dritte Stück verschlang und weiter zum letzten die Stufen hinablief.
Mit zitternden Händen schloss Nightingale die Tür erneut ab und klemmte einen Stuhl unter die Klinke. Sie wischte den Fußboden sauber, saugte den Teppichboden und putzte überall, wo die Katze
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