Crescendo
lag auf der Fußmatte ein großes Paket mit braunem Packpapier, auf dem ihr Name 154
in Großbuchstaben stand. Es war nicht mit der Post gekommen, sondern persönlich gebracht worden, und ihr sträubten sich die Nackenhaare, als ihr die schlimmste Möglichkeit einfiel. War ihr Stalker in der Lage, ihr eine Paketbombe zu schicken?
Sie nahm das Paket und legte es in der Diele auf den Boden, schloss dann die Tür und verriegelte sie. Es wäre eine große Dummheit, das Paket zu öffnen, doch sie war in einer fahrlässig fatalistischen Stimmung. Nachdem sie es lange angestarrt hatte, holte sie ein Messer aus der Küche, schnitt das Klebeband durch und entfernte das Papier.
Zum Vorschein kam ein Karton, der dick in Zellophan eingewickelt war. Ein schlechtes Zeichen, aber sie ignorierte es und setzte vorsichtig das Messer an, bis sie wusste, wie sich der Deckel öffnen ließ. Sie hielt inne und holte Bettdecke und Kopfkissen, die sie wie Sandsäcke um den Karton arrangierte. Dahinter stapelte sie die Sofapolster und eine Schaum-stoffmatratze.
Auf einmal bemerkte sie einen merkwürdigen Geruch, der zunehmend penetranter wurde. Danach zu schließen, war der Inhalt des Pakets eher unangenehm als gefährlich. Trotzdem verkrampfte sie sich, als sie den linken Arm mit dem längsten Messer, das sie finden konnte, durch eine Lücke zwischen den improvisierten Sandsäcken schob.
Zunächst bewegte der Deckel sich keinen Millimeter, doch sie blieb geduldig und hebelte ihn rundherum Stück für Stück höher, bis er endlich herunterflog. Der Gestank war unerträglich. Sie musste würgen, als sie die Polster beiseite schob und in den Karton blickte.
»Oh nein.«
Nightingale holte alte Zeitungen und legte sie in einer dicken Schicht auf dem Fußboden aus. Tränen trübten ihre 155
Sicht, als sie den Inhalt vorsichtig aus dem Karton hob, als hätte sie Angst, dem Wesen darin noch mehr Schmerzen zuzufügen, aber Blackie war eindeutig tot. Sein Mörder hatte ihm den Bauch aufgeschlitzt, so dass ein Teil der glitschigen, grauen Eingeweide herausrutschte, als Nightingale das verfilz-te Fellbündel behutsam auf den Boden legte.
Der Gestank lenkte sie ein wenig von ihrer Trauer ab.
Blackie war anscheinend furchtbar gequält worden. Wer sich an solch einer Folter ergötzte, konnte nur ein Sadist der schlimmsten Sorte sein. Sie riss sich aus ihrer Traurigkeit, indem sie ihre ganze Wut auf den Täter richtete.
Als es ein zweites Mal klingelte, packte sie das lange Kü-
chenmesser und riss die Tür auf, bereit, es mit dem Scheiß-
kerl aufzunehmen, der das getan hatte.
Cooper wich entsetzt vor Nightingale und dem Gestank zurück, der ihm entgegenschlug.
Unter den gegebenen Umständen reagierten sie dann jedoch beide bemerkenswert ruhig.
»Kommen Sie rein.« Als er zögerte, packte Nightingale seinen Arm beunruhigend fest und zerrte ihn über die Schwelle.
»Schauen Sie lieber nicht hin, es ist Blackie. Irgendwer hat mir gerade die Leiche in einem Paket geschickt.«
»Was?« Er blickte sie verdattert an.
»Meine Katze. Jemand hat sie gequält und getötet und sie mir in einem Paket vor die Tür gelegt. Als Sie geklingelt haben, dachte ich, es wäre der Scheißkerl, der das getan hat.«
Cooper griff nach dem Messer, und sie ließ es sich teilnahmslos aus der Hand nehmen. Er brachte es in die Küche, wo es hingehörte, dann bückte er sich und nahm das tote Tier genauer in Augenschein.
»Das ist keine Katze, das ist eine Trappermütze mit Fell-156
schwanz. Jemand hat Innereien und Blut darüber gekippt.
Wer macht denn so was?«
Nightingale hatte Mühe, vor Erleichterung nicht loszu-heulen, bevor sie antwortete.
»Derselbe, der mich seit der Gerichtsverhandlung terrorisiert. Ich hab ständig Anrufe auf dem Anrufbeantworter, wo jemand bloß schwer atmet, und ich krieg obszöne E-Mails.«
Sie sah Zweifel in seinen Augen und nahm ihn mit in ihr Arbeitszimmer. Der Computer befand sich auf Stand-by, doch als sie die Leertaste drückte, erwachte der Bildschirm sofort zum Leben und zeigte das Foto.
Cooper sah es und ließ sich dann schwerfällig in den Sessel sinken.
»Das ist …«
»Die neueste perverse E-Mail, die ich erhalten habe. Ich hab sie geöffnet, kurz bevor das Paket kam.«
»Aber wieso ist das Ihr Gesicht?«
»Man kann heutzutage jedes Foto manipulieren.« Sie griff an ihm vorbei und klickte auf Zoom, bis ein Teil des Fotos so vergrößert war, dass sich kaum noch etwas erkennen ließ.
»Sehen Sie die kleinen
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