Crescendo
geschlossene Räume nicht vertragen konnte, wenngleich das Thema tabu war.
»Ich werde mich um neue Gründe für eine Berufung kümmern.«
»Ich hab dir doch gesagt, mein Anwalt meint, ich hab keine Chance.«
»Dann müssen wir dir diese Chance verschaffen. Überleg doch mal. Wodurch lässt sich die Polizei am einfachsten davon überzeugen, dass sie den Falschen erwischt haben?«
Griffiths kratzte sich am Kopf, versuchte angestrengt, einen eigenen Gedanken zu fassen.
149
»Ich weiß nicht.«
Sein Besucher seufzte ungehalten und beugte sich vor, damit er besonders leise sprechen konnte.
»Dadurch, dass die, ähm, Vorfälle, die zu deinem Aufenthalt hier geführt haben, weitergehen, während du hier drin bist. Natürlich heißt das, dass ich dich nicht mehr besuchen kann, weil man dich wieder genau unter die Lupe nehmen wird. Also weiterhin kein Wort über mich.«
»Ist doch klar.« Griffiths griff nach der Hand des Mannes, doch sie wurde zurückgezogen, und er wechselte das Thema, um die Zurückweisung zu überspielen.
»Die Bücher sind angekommen. Ich hab die Nachricht entschlüsselt.«
»Sehr gut, dann ist ja alles klar. Ich muss los. Denk dran, hab Geduld und sei schlau.«
Der Mann, der Griffiths’ einziger Bruder und Freund war, ging. Falls der Plan scheiterte, würde er ihn nie wieder sehen.
Der Gedanke deprimierte ihn noch mehr. In seiner Zelle schaute er erneut auf den Brief, den er erhalten hatte, dann auf seine sorgsam versteckte Entschlüsselung, auf die er ungemein stolz war. Das Original lautete: Lieber Freund,
du hattest mich gebeten, dir etwas Passendes zum Lesen zu schicken. Die beiliegende Lektüre ist eines meiner Lieblingsbücher. Es ist die Geschichte eines bemerkenswerten Seefahrers, der ab einer der ersten unsere Küsten erkundet hat. Die Seiten 2, 12, 46, 17
und 15 sind besonders interessant. Der Autor hat nicht nur dasselbe Geburtsdatum wie ich, Tag, Monat und Jahr, sondern wohnte zufällig auch in einem Haus, das dieselbe Nummer hatte wie meines, 125. Ist das nicht merkwürdig? Ich schreibe dir bald wieder, mit liebem Gruß,
Agnes
150
Er schlug die Seite 2 auf und suchte anhand der Ziffern des Geburtsdatums – 17. Juli 1976 – das 17., das 7., das 19. und 76. Wort und schließlich anhand der Hausnummer das 125.
Wort heraus. Auf den Seiten 12, 46, 17 und 15 verfuhr er genauso und nach einer Viertelstunde hatte er die Nachricht entschlüsselt:
Flucht nicht möglich; besserer Plan: erneut zuschlagen, gleiche Methode wie vorher, während Gefangener im Knast. Erst Nach-tigall fangen, dann weiter, halt durch.
Er spülte sein Werk, das er erst jetzt richtig verstand, in der Toilette herunter, steckte den Originalbrief hinten in das Buch und legte sich aufs Bett. »Agnes« würde eine neue Vergewaltigungsserie starten, nach seiner Methode. Dann würde die Polizei dumm dastehen, und er hätte Grund, in Berufung zu gehen. Und Agnes würde sich nicht mit Vergewaltigung begnügen. Der Gedanke durchströmte ihn wohlig, wie ein guter Brandy. Er sank langsam in einen süßen Schlaf, ein en-gelhaftes Lächeln auf dem Gesicht.
»He, trödeln Sie nicht rum, der Superintendent will Sie sprechen.« Cooper schüttelte ungehalten den Kopf.
Er sah ihr nach, wie sie durch die Tür schlurfte, am Ende mit seinem Verständnis. Wie seine Mutter immer gesagt hatte: »Wer sich nicht selbst hilft, dem ist nicht zu helfen.«
»Recht hatte sie«, knurrte er vor sich hin, »verdammt Recht.« Zehn Minuten später war sie wieder da, kreidebleich im Gesicht, aber gefasst.
»Noch einen Monat. Ende Juli werde ich versetzt.« Sie sprach es aus, als wäre es ein Todesurteil. Cooper versuchte, sie mit ein paar Plattitüden aufzumuntern, doch er konnte 151
nicht sagen, ob sie ihn überhaupt gehört hatte. Achselzuckend wandte er sich wieder dem Papierkram vor sich zu. Er musste später ins Gericht, wo einer seiner Fälle verhandelt wurde. Als er um drei zurück war, sah er zu seinem Erstaunen, dass Nightingale nicht an ihrem Schreibtisch saß. Er erkundigte sich nach ihr und erfuhr, dass sie wieder früher Feierabend gemacht hatte. Fluchend rief er bei ihr zu Hause an, aber sie ging nicht dran. Nach mehrmaligen vergeblichen Anläufen wählte er ihre Handynummer und sprach ihr eine Nachricht auf die Mailbox.
Den Rest des Nachmittags versuchte er es immer wieder auf beiden Nummern, doch stets ohne Erfolg. Schließlich beschloss er, auf dem Weg nach Hause bei ihr vorbeizufah-ren. Er sagte sich, dass
Weitere Kostenlose Bücher