Crescendo
vorsorglich einen extra starken Kaffee.
»Ein Anruf von Superintendent Quinlan. Er möchte Sie sofort sehen.«
Die Atmosphäre im Büro des Superintendent war noch düsterer als Fenwicks Stimmung.
»Stellen Sie sich vor, Nightingale hat gekündigt! Und dabei habe ich noch in Leeds angerufen, damit sie ihr dort einen roten Teppich ausrollen. Ist mal wieder typisch … Weiber, die sind einfach …«
Er bremste sich gerade noch rechtzeitig, vielleicht weil er Fenwicks finstere Miene gesehen hatte.
»Sie wissen, was gestern passiert ist?«
»Ja, aber das tut nichts zur Sache. So was Dämliches. Und dabei hat sie nicht mal eine Alternative, sie steht dann ohne Job da.«
»Hat sie Ihnen die Kündigung überreicht?«
»Ja, hier ist sie.« Quinlan wedelte mit einem Blatt Papier.
»Nur Ihnen?« Der Unterton in Fenwicks Stimme bewirk-te, dass Quinlan langsam antwortete.
»Ja.«
»Wer außer uns weiß sonst noch Bescheid?«
»Keiner. Worauf wollen Sie hinaus?« Er betrachtete Fen-160
wick argwöhnisch, verwundert, dass sein sonst so geradliniger Mitarbeiter plötzlich so verschwörerisch klang.
»Wir könnten die Sache doch noch für uns behalten, ihr etwas Zeit geben, noch mal drüber nachzudenken. Wenn jemand das verdient hat, dann sie.«
»Aber sie hat gekündigt, Andrew. Und zwar mit unmissverständlichen Worten, das versichere ich Ihnen.« Quinlan war ebenso wütend wie enttäuscht.
»Darf ich?« Fenwick zog den Brief sachte aus der Hand des Superintendent. Der Text bestand aus drei eng getippten Ab-schnitten. Fenwick las ihn und verzog das Gesicht.
»Verstehen Sie, was ich meine?« Quinlan betrachtete ihn mit finsterem Blick.
»Sie war wütend und verängstigt. Wahrscheinlich bereut sie das hier bereits.«
»Die Kündigung oder die Wortwahl?«
»Letzteres mit Sicherheit, Ersteres womöglich auch. Ich denke, wir sollten ihr eine längere Beurlaubung anbieten, bezahlt oder unbezahlt, das müssen Sie entscheiden.«
»Und die Kündigung?«
»Ignorieren.«
»Das kann ich nicht machen. Sie erwartet eine Bestätigung, und in ihrer derzeitigen Stimmung traue ich ihr glatt zu, dass sie eine Kopie an Harper-Brown geschickt hat.«
»Ich spreche mit ihr, vielleicht kann ich sie überreden, mit der endgültigen Entscheidung ein paar Wochen zu warten.«
Quinlans Verärgerung verflog. Er war kein nachtragender Mensch. Er schritt in seinem Büro auf und ab, klopfte sich mit dem zusammengefalteten Brief gegen die Wange.
»Sie gehört zu unseren besten Leuten, aber mir in einem solchen Ton zu schreiben …«
»Sie ist die Beste, finde ich.«
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»Sie hat ein schlimmes Jahr hinter sich.«
»Andere hätten schon längst eine Kur beantragt.« »Hmm.
Also schön. Versuchen Sie’s. Es wäre eine Riesenverschwen-dung – von Steuergeldern sowieso, aber auch sonst.« Fenwick atmete langsam aus. »Ich mach mich sofort auf den Weg.«
»Was sage ich denen in Leeds?« »Ihnen wird schon was einfallen, Sir. Wie immer.«
Als Fenwick sich bei Nightingale angemeldet hatte und im Auto saß, um zu ihr zu fahren, rief Claire Keating ihn auf dem Handy an. Er hatte sie seit über einer Woche weder gesehen noch gesprochen und sein zunehmend schlechtes Gewissen geflissentlich ignoriert.
»Hallo, Claire. Schön, dass du anrufst.« Er zwang sich, herzlich und locker zu klingen.
»Hast du Zeit zum Lunch, Andrew? Ich weiß, es ist ein bisschen kurzfristig, aber ich würde wirklich gern mit dir reden.« Ihr Tonfall klang so dringend, dass er das Gesicht verzog.
Er sah auf die Uhr am Armaturenbrett – Viertel vor zwölf.
Er hatte absolut keine Lust, zu Mittag zu essen. Das Gespräch mit Nightingale würde auch ohne Termindruck schon schwierig genug werden.
»Wie wär’s mit einem späten Lunch, um halb zwei?«
»Nein. Ich hab um zwei einen Termin. Früher ist nicht drin?«
Ihre Hartnäckigkeit war untypisch, und er gab aus schlechtem Gewissen nach.
»Also schön. Ich ändere meine Pläne, und wir sehen uns um zwölf, im Dog and Duck.«
Als er Nightingale anrief, um zu sagen, dass er später käme, klang sie gleichgültig, als hätte sie sich innerlich schon von 162
ihrem Job gelöst. Panik stieg in ihm auf, dass er sie durch die Terminverschiebung vielleicht nicht mehr zum Bleiben wür-de bewegen können, doch er verwarf den Gedanken gleich wieder als übertrieben. Dennoch war er ungeduldig und leicht gereizt, als er Claire in dem fast leeren Pub an dem Tisch sitzen sah, wo sie bisher immer gesessen hatten. Zwei
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