Crescendo
Gläser standen auf dem Tisch: eins mit Tomatensaft und eins mit Weißwein.
Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, nahm Platz und rang sich ein Lächeln ab.
»Schön, dich zu sehen. Gibt es ein Problem? Du hast dich so angespannt angehört.«
Claire hob die Augenbrauen auf eine Art, die ihn allmählich reizte.
»Das kann nicht sein, Andrew, zumindest habe ich mich nicht ›angespannt‹ gefühlt.« Sie hielt inne, ein alter Psycholo-gentrick, aber Detectives wussten noch besser, was Schweigen bewirken konnte, vor allem bei den Schuldigen, und Fenwick sagte nichts. Die anhaltende Stille wurde zunehmend peinlich.
Schließlich blickten sie beide von ihren Gläsern hoch und lachten.
»Also gut.« Claire zuckte die Achseln. »Das bringt uns nicht weiter, und wir sind beide zu beschäftigt, um so unsere Zeit zu vertun.«
»Stimmt, aber ich habe keinen Schimmer, worüber du reden möchtest, also wirst du anfangen müssen.«
»Ich möchte über uns reden, Andrew, na, eigentlich über dich.«
Fenwick spürte, wie seine Gesichtszüge sich verhärteten.
»Verstehe.«
»Wirklich?« Sie hatte einen Ausdruck im Gesicht, als ken-163
ne sie die Antwort schon, was ihn an seine Mutter erinnerte und nicht gerade beruhigte. »Das Problem ist, dass mein Ge-fühle für dich in den letzten Wochen stärker geworden sind.
Ich hab dich schon immer gemocht, aber jetzt ist es mehr, und das macht mir Angst, weil ich immer noch nicht weiß, wie du zu mir stehst. Bevor es mit uns weitergeht, muss ich wissen, was ich dir bedeute.« Ein Hauch Verletztheit hatte sich in ihre Stimme geschlichen, und Fenwick wand sich innerlich.
Sie blickte ihn forschend an, aber jetzt wusste er erst recht nicht mehr, was er sagen sollte. Ihre offensichtliche Verunsi-cherung tat ihm Leid, aber er konnte nichts daran ändern.
»Möchtest du noch eins?« Er deutete auf ihr leeres Glas.
Sie verzog das Gesicht und blickte zum Fenster hinaus. Als er von der Theke zurückkam, starrte sie noch immer entschlossen nach draußen.
»Claire, es tut mir Leid. Was willst du von mir hören?«
»Ich erwarte ja keine fertig ausformulierte Antwort. Aber es wäre schön, wenn du irgendeine Art von Gefühl zeigen könntest, abgesehen von peinlich berührter Verlegenheit –
darin bist du übrigens sehr gut. Ich glaube, du traust dich nicht zu zeigen, wie es wirklich in dir aussieht.« Ihre Stimme wurde scharf. »Aber vielleicht ist da ja auch gar nichts, und du machst dir nur nicht besonders viel aus anderen Menschen.«
Fenwick trank einen Single Malt mit Wasser und bemühte sich, seinen Ärger zu unterdrücken. Er hasste solche Gesprä-
che. So unerwartet es auch kam, die Freundschaft, von der er geglaubt hatte, dass sie für sie beide locker und unverfänglich war, schien Claire jetzt einiges mehr zu bedeuten.
»Ich dachte, wir hätten Spaß miteinander. Ich wusste nicht, dass du uns als ernste Beziehung gesehen hast. Ich wollte dir ganz bestimmt nicht weh tun.«
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»Aber du hast mich doch darin bestärkt!« Sie wandte den Blick vom Fenster ab und fixierte ihn mit Augen, die ihm sein unschuldiges Kopfschütteln nicht abkaufen wollten.
»Doch, das hast du. Im Bett hast du … Wie sollte ich das denn anders verstehen?« Ihre Stimme versagte, und er legte eine Hand auf ihren Arm.
»Ich hatte keine Ahnung …«
»Absolut richtig«, unterbrach sie ihn plötzlich so laut, dass sich ein Pärchen an der Bar zu ihnen umdrehte. »Du hast keine blasse Ahnung. Du bist total verschlossen. Weiß der Teufel, wie du überhaupt deine Arbeit schaffst, wo du die Gefühle anderer Menschen durchschauen musst. Du kennst ja nicht mal deine eigenen.«
Sie leerte ihr zweites Glas Wein mit einem einzigen letzten Schluck, und er beschloss, ihr kein drittes anzubieten.
»Komm«, sagte er, stand auf und bot ihr die Hand an, was sie ignorierte, »gehen wir nach draußen. Ich brauch frische Luft.«
Draußen im Biergarten drang die Sonne durch diesige Wolken, und es war unangenehm schwül. Als sie den Zaun des Parkplatzes erreichten, drehte Claire sich zu Fenwick um.
Erleichtert sah er, dass sie sich beruhigt hatte, obwohl ihre Wangen noch immer gerötet waren.
»Du versuchst es schon wieder, Andrew, aber diesmal lasse ich es nicht zu.«
»Was versuche ich?« Er war ehrlich verwirrt.
»Dem Thema auszuweichen. Sobald du dich mit deinem Privatleben auseinander setzen musst, bist du ein hoffnungsloser Fall.«
Er verkniff sich die bissige Bemerkung, dass er als allein erziehender
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